Mord mit kleinen Fehlern

Schulterstreifen, eine goldene Anstecknadel in Form eines Adlers und eine Polizeikrawattennadel wiesen ihn als einen hohen Polizeibeamten aus. Er fuhr fort: »Der Polizeichef hätte an unserem Gespräch gern selbst teilgenommen, aber wie Sie vielleicht wissen, befindet er sich derzeit nicht im Lande.«
    »Er ist in Irland, habe ich gehört«, warf Bennie ein. Anne lehnte sich gegen das kalte Leder der Stuhllehne. Sie war froh, Bennie die Leitung zu überlassen, weil bei diesem Gruppentreffen klar war, dass nichts Bedeutendes beschlossen würde, und trotz ihrer neu gefundenen Selbstkontrolle war es Anne peinlich, im selben Raum wie ihre Mutter zu sein.
    »Vor allem«, fuhr der stellvertretende Polizeichef fort,  »möchte ich mich jetzt und hier bei Mrs. Murphy für das mangelnde Urteilsvermögen der Detectives Rafferty und Tomasso entschuldigen. Im Zuge der Ermittlungen, die - wie ich Ihnen versichern darf - immer noch andauern, kam mir zu Ohren, dass diese Detectives zugelassen haben, dass bestimmte falsche Informationen hinsichtlich des Aufenthaltsortes Ihrer Tochter unkorrigiert blieben. Dafür und für den Kummer, den Sie dadurch erlitten haben, möchte ich Ihnen, Mrs. Murphy, versichern, dass es unserer Abteilung wirklich von Herzen Leid tut. «
    Terry Murphy nickte huldvoll, aber das bereitete den Entschuldigungen kein Ende, die - wie Anne wusste - nur für die Akten gedacht waren und ausschließlich auf Anraten eines Anwaltes abgegeben wurden, der zweifelsohne einen höheren Rang bekleidete als der, der jetzt am Tisch saß und sich Notizen machte. Die Männer wussten, dass Annes Mutter unter diesen Umständen die Stadt und das Polizeipräsidium wegen emotionalen Stresses auf Schadensersatz verklagen konnte. Doch Anne wusste, dass ihr vermeintlicher Tod ihrer Mutter mitnichten Kummer bereitet hatte.
    »Ich versichere Ihnen, Mrs. Murphy, dass diese Detectives ihrer Abteilung, der Mordkommission, und dieser Stadt bisher stets hervorragend gedient haben. Ihr Vorgehen geschah nicht nur auf Bitten Ihrer Tochter hin, sondern auch in dem treuen und verständlichen Glauben, dass sie Ihre Tochter dadurch vor weiterem Schaden bewahren könnten. Ich bin sicher, dass Sie das nachvollziehen können, Mrs. Murphy.«
    »Ja, natürlich«, erwiderte ihre Mutter und nickte. Anne erkannte die Spur eines pseudoenglischen Akzents, fast so schlimm wie der von Madonna. Netter Versuch, Ma. Gehört das zu deiner heutigen Rolle?
    Der stellvertretende Polizeichef lächelte verbindlich. »Es bleibt jedoch unbestritten, dass das Vorgehen der Detectives unorthodox war und auch gegen gängige Polizeiverfahren verstößt, obwohl sie in gutem Glauben handelten. Wir werden im Laufe des Tages vor die Presse treten, um unsere Position in dieser Angelegenheit klarzustellen. Ich versichere Ihnen, Mrs. Murphy - und das werden wir auch der Presse mitteilen -, dass unsere Abteilung überlegt, disziplinarische Maßnahmen gegen die Detectives aufgrund ihres Verhaltens einzuleiten. «
    Detective Rafferty senkte den Kopf, eine Geste, die von  Aufrichtigkeit zeugte, die ihrer Mutter fehlte.
    Anne konnte nicht länger an sich halten. »Wenn Sie erlauben, Deputy Commissioner Parker«, sagte sie und hob den Zeigefinger. »Sie haben sehr richtig darauf hingewiesen, dass Detective Rafferty und sein Partner ihr Vorgehen ...« Sie wurde sich des Polizeijargons bewusst und fing noch mal von vorn an. »Die beiden haben die Tatsache, dass ich noch am Leben bin, nur deshalb verschwiegen, weil ich sie inständig darum bat - und um zu verhindern, dass ein weiterer Anschlag auf mich ausgeübt wird. Ich denke, das beweist ein hervorragendes Urteilsvermögen ihrerseits und darüber hinaus auch ein großes Herz.«
    »Danke«, sagte der stellvertretende Polizeichef, und der städtische Anwalt kritzelte wie von Sinnen. Rafferty sah auf, ein leichtes Lächeln zog sich über sein Gesicht. Anne erwiderte das Lächeln.
    »Ich hoffe sehr, dass die Abteilung keine disziplinarischen Maßnahmen gegen diese beiden Detectives anstrebt. Falls Sie eine Verlautbarung dieses Inhalts erstellen möchten, für interne Zwecke oder zur Weitergabe an die Presse, dann wäre ich dabei gern behilflich.«
    »Hervorragend. Das würden wir zu schätzen wissen«, sagte der stellvertretende Polizeichef, und für den städtischen Anwalt war Weihnachten. Sobald er wieder in seiner Kanzlei war, würde er wahrscheinlich eine Zusammenfassung seiner Mitschrift an sie schicken, die die computergenerierte