Mord mit kleinen Fehlern
kümmern werde. Dass wir als Team agieren, als Familie.«
»Dieser Spruch mit der Familie funktioniert nie«, platzte Anne heraus. Bennie blinzelte, verletzt.
»Tut es nicht?«
»Das sagen große Firmen ständig. Und es stimmt nie.«
»Bei mir stimmt es schon. Ich meine es so.«
»Na gut, es hängt davon ab, wer es sagt.«
»Nun der junge Gil hat es mir jedenfalls nicht abgenommen. Wir sind draußen. Er hat bereits Kontakt zu CRAWFORD, WILSON & RYAN aufgenommen. Er kennt da ein paar Leute. Und er denkt auch an BALLARD & SPAHR. Erstklassige Kanzleien. Während wir hier reden, überprüfen sie gerade, ob sie durch die Übernahme des Falles in Interessenkonflikte kommen.Und wir wissen beide, was sie sagen werden.«
»Was sollte ich deiner Meinung nach jetzt tun?«
»Er ist dein Mandant, triff du die Entscheidung«, erwiderte Bennie ohne Verbitterung. »Was willst du tun?«
»Ich wollte ja nicht einmal, dass d u den Fall übernimmst. Glaubst du etwa, ich möchte ihn an jemand verlieren, der nicht zur Familie gehört?« Anne lächelte - und Bennie ebenso. »Gar keine Frage. Ich sage ihm, dass ich am Leben bin. Und schwöre ihn auf Geheimhaltung ein. Ich will diesen Fall unbedingt behalten.«
»Das verstehe ich, aber es würde mir nicht gefallen, dich tot zu sehen, nur um einen Mandanten zu halten. Selbst wenn Kevin Willa nicht ermordet hat, wissen wir jetzt, dass er sich in der Nähe aufhält. Kannst du Gil vertrauen? Wird er die Tatsache, dass du am Leben bist, für sich behalten?«
»Er wird schweigen.«
»Na gut. Aber lass mich vorgehen, und dafür sorgen, dass die Cops in Raum C bleiben.« Bennie öffnete die Tür einen Spaltbreit und lugte in den Flur.
»Dein Mandant ist in D.«
»Danke. Übrigens habe ich Willas Adresse herausgefunden.«
»Gute Arbeit.« Bennie glitt zur Tür hinaus. Anne wartete eine Minute, dann eilte auch sie den Flur entlang. Sie flitzte am Wasserspender vorbei, an einem Aquarell mit der viktorianischen Fassade des Rathauses und an einer endlosen Reihe Ruderbildern, in denen scheinbar immer derselbe knochige Kerl in einem schlecht geschnittenen Top saß. Sie gelangte zum Besprechungsraum D, öffnete die Tür, glitt rasch hinein und schloss die Tür hinter sich.
Gil stand neben Judy und war wie immer tadellos gekleidet. Er trug einen marineblauen Blazer, eine Hose mit Bügelfalte und Gucci-Slipper. Sein jugendliches Gesicht war leicht gebräunt, allerdings hatte der anstehende Börsengang Anzeichen von Stress hinterlassen.
»Hallo, Gil. Ich bin's, Anne«, sagte sie und sah ihm in die Augen. Sie wollte nicht mit seinen Gefühlen spielen. Einen Augenblick lang schien er sie nicht zu erkennen. Seine Stirn runzelte sich, und seine intelligenten, blaugrünen Augen blickten verwirrt. Er fuhr sich mit der Hand rasch durch das glänzende braune Haar, das offenbar teuer geschnitten war, denn es fiel wieder zurück an Ort und Stelle. Anne brachte ein aufmunterndes Lächeln zustande. »Ich bin es wirklich, Glich bin nicht tot, ich lebe. Es war ein Versehen. «
Gil sah aus, als wollte er lachen, aber es wurde nur ein verunglückter Schluckauf. »Soll das ein Scherz sein?«
»Vielleicht solltest du dich setzen.« Anne wies auf die schicken Stühle mit den hohen Lehnen auf der anderen Seite des Tisches, aber Gil sank bereits auf den nächstbesten Stuhl, seine ganzen ein Meter achtzig kollabierten langsam in den Knien, wie ein Haus, das auf seinem Fundament implodiert Er konnte seinen Blick nicht von Annes Gesicht abwenden, und sie klärte ihn auf. »Gil, es tut mir Leid, es war ein Missverständnis. Nicht ich wurde gestern Nacht ermordet, sondern eine andere Frau. Es war nicht ich.«
Gil wirkte unsicher, lächelte vorsichtig. »Du bist wirklich Anne Murphy? Dann erzähle mir etwas, das nur du wissen kannst. Aus unserem ersten Semester.«
»Okay, wir trafen uns am ersten Tag, im Seminar über Verträge. Wir wurden alphabetisch platziert, darum saßen wir nebeneinander, Martin neben Murphy. Während ich die Bedingungen für eine Angebotsannahme memorierte, hast du deinen Gameboy aufgemotzt.«
»Ha!« Gil lachte leise, hatte sich beinahe wieder gefasst. »Du bist es? Ich kann es nicht glauben. Aber ... in den Nachrichten, im Fernsehen, da hieß es ... «
»Sie haben sich geirrt. Ein einziger, großer Irrtum. Die Frau, die getötet wurde, versorgte meinen Kater. Die Cops wissen noch nicht, dass ich lebe. Nur wir hier wissen es. Und jetzt du. So soll es auch bleiben.«
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