Mord mit kleinen Fehlern
unkonventionell. Es hatte einen tiefen Ausschnitt, war an der Taille v-förmig geschnitten und hatte einen Rüschchenkragen. Der Rock bauschte sich bis weit über die Knie, und der Stoff knitterte krinolinenartig. Das Kleid war mehr als nur ein modischer Fauxpas, es eignete sich als Halloween-Kostüm.
»Es ist irgendwie dramatisch«, meinte Mary taktvoll. »Aber Judy dachte, dass es dir gefallen könnte. Und es verdeckt dich großflächig, wie es eine gute Verkleidung tun sollte. «
Judy nickte stolz. »Es ist einzigartig. Ich habe es aus einem Laden für Modellschneiderei. Zieh es an, damit wir sehen, ob es passt. Es ist nicht nur ein Kleid, es ist tragbare Kunst. «
Hä ? »Kunst ist gut. Ich mag Kunst.« Anne nahm das Kleid, schlüpfte mit dem Kopf voraus hinein und zog es über ihr
T-Shirt und ihren Rock nach unten. An der Taille passte es, aber der schwarze Rock glitt zu Boden wie überlaufendes Öl. »Wir müssen den Saum hochtackern, aber ansonsten ist es perfekt. Danke.«
Sogar Bennie strahlte. »Das Beste hast du noch gar nicht gesehen. Das letzte, entscheidende Stück.«
»Noch mehr?« Anne sah furchtsam aus. Mary hielt einen schwarzen Strohhut hoch, dessen Krempe gewaltiger schien als die meisten Strandschirme. Sie reichte ihn Anne, die ihn aufsetzte und sich wie eine Abschlusskönigin im Kreis drehte.
Bennie, Judy und Mary grinsten kollektiv. »Wau! « Mary klatschte in die Hände.
»Ehrfurcht gebietend!«, sagte Judy, dann änderte sich plötzlich ihr Gesichtsausdruck. »Warte, das hätte ich ja bei- nahe vergessen. Ohne die hier kannst du nicht zur Feier.« Sie griff in ihre Tasche und zog etwas heraus, das in ihre Handfläche passte. Dann öffnete sie ihre Hand. Es waren zwei lange Ohrringe mit winzigen, unregelmäßig geformten Glasperlen, die in wildem Zickzackmuster und Wirbeln rot, schwarz und blau gefärbt waren. Das Sonnenlicht verfing sich in den Perlen, und sie funkelten wie ein Feuerwerk.
»Die sind wunderschön!« Anne war erstaunt. Sie hatte noch nie ähnliche Ohrringe gesehen, dabei gab es kaum eine Boutique, die sie nicht kannte. »Wo hast du die her? Auch aus einem Kunstladen?«
»Nein. Ich habe sie für dich gemacht. Die Perlen sind aus Glas.« Judy reichte sie mit einem verlegenen Lächeln an Anne. »Willkommen in Philadelphia, Anne.«
Anne knipste die Ohrringe fest. Sie war gerührt. Diese Frauen waren ihr gegenüber so großzügig, jede auf ihre Weise. Sie schienen sich wirklich Sorgen um sie zu machen. Annes Hals war plötzlich wie zugeschnürt, und sie brachte kein Wort heraus, darum tat sie, wonach ihr am meisten war, und warf sich den dreien der Reihe nach in die Arme, mit Hut und allem. »Ich danke euch!«, krächzte sie. »Ihr seid die Besten!«
Bennie klopfte ihr auf den Rücken und flüsterte ihr ins Ohr: »Es wird alles gut, Schätzchen.«
Eine Wärme durchflutete Anne, die sie nie zuvor erlebt hatte. Mentale Notiz: Freundinnen sind wichtiger als Unterwäsche.
»Also gut, Ladys, jetzt ist Showtime! «, verkündete Bennie und löste die Umarmungsorgie auf. Die drei Trauernden stürmten los, nur eine hinkte etwas hinterher: Anne.
»Bennie, ist das jetzt ein guter Zeitpunkt, um dir zu erzählen, was mit dem Mustang passiert ist?«, fing sie an.
18
Der Chestnut Club war einer von Philadelphias größten viktorianischen Prachtbauten, mit einer gewaltigen, vertäfelten Eingangshalle, einer ausladenden Mahagonitreppe und einem Treppenabsatz mit einem immens großen Buntglasfenster, das William Penn bei Verhandlungen mit den amerikanischen Ureinwohnern zeigte. Der Anwalt der Ureinwohner war nicht zugegen.
Im Innern sah Anne angespannt auf ihre Uhr. Elf Uhr dreißig. Eine halbe Stunde bis zum Beginn der Trauerfeier, und einige wenige Leute trafen schon ein. Es war eine kleine Gruppe, was sie auch erwartet hatte; nicht wegen der Feiertage oder aufgrund der kurzfristigen Einladung, sondern weil bis vor zwanzig Minuten niemand Anne gemocht hatte. Sie schritt durch die Trauernden hindurch, das Gesicht kunstvoll geschminkt, das Gesicht unter dem großkrempigen Hut und einem Schleier nahezu verborgen, die Sonnenbrille über den Augen. Niemand konnte sie richtig sehen , geschweige denn erkennen, aber sie konnte durch das Gittergeflecht des Schleiers ihre Umgebung beobachten.
Anne entdeckte Marge Derrick, eine nette Mandantin aus einem ihrer Vertragsrechtsfälle, und noch eine Vertragsrechtsmandantin, Chery Snyder, sowie Lore Yao, eine reizende Frau, die sie auf einer
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