Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
und blitzte ihn böse an.
Er schien es kaum zu bemerken. »Mein lieber Fritz, können wir jetzt bitte zum dienstlichen Teil übergehen? Ich möchte Anzeige erstatten.«
»Aber sicher, verehrter Graf Fallersleben. Bitte, kommen Sie herein. Ich stehe wie immer ganz zu Ihrer Verfügung.«
Fehlt nur noch ein tiefer Bückling, dachte Hanna, angewidert von so viel Ehrerbietung.
Sie hatte jetzt die Wahl: Entweder sie bestand als Westermanns Vorgesetzte darauf, selbst die Anzeige aufzunehmen, oder sie ließ es bleiben. Hanna ließ es bleiben.
Gut möglich, dass sie sich nicht mehr lange in der Gewalt haben würde, wenn sie noch mehr als eine Minute in Gesellschaft dieses arroganten Mistkerls namens Fallersleben verbringen musste. Westermann mochte ihr später berichten, worum es ging.
Hanna beschloss, einen kleinen Spaziergang durch den Ort zu machen. Zunächst aber ging sie direkt auf die Leute zu, die sie vom Brunnen her beobachteten. Sie wollte sich einfach mit ein paar freundlichen Worten vorstellen und hoffte, die Dorfbewohner würden es ihr nicht so schwer machen. Langsam überquerte Hanna den Platz. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Der Tag versprach, wieder sehr heiß zu werden, aber daran lag es nicht.
Eine Welle der Feindseligkeit schwappte auf Hanna zu und schlug über ihr zusammen. Die kleine Gruppe aus Männern und Frauen stand mit vor der Brust verschränkten Armen da und rührte sich nicht.
Niemand sprach. Die Blicke waren eisig.
War ihr eben noch heiß gewesen, so fröstelte Hanna jetzt. Trotzdem setzte sie einen Fuß vor den anderen. Erst als sie bis auf wenige Schritte herangekommen war und gerade den Mund zu einem Gruß öffnete, löste sich die Gruppe auf und strebte in alle Richtungen davon. Hanna stand allein vor dem großen plätschernden Wasserbecken.
Wieder wurde ihr heiß. Der Brunnen wirkte wunderbar kühl. Sie sah sich rasch um und machte einen weiteren Schritt darauf zu. Das Wasser gurgelte fröhlich und frisch. Schon hatte sie einen Fuß über den Rand gehoben, da kam Hanna in letzter Sekunde zu sich.
O Gott! Restalkohol, Sonnenhitze und feindliche Dorfbewohner hatten ihr offenbar den Verstand geraubt. Sie war drauf und dran gewesen, in den Brunnen zu springen!
Ein Kichern stieg in ihrer Kehle auf.
4
»Alles in Ordnung mit Ihnen?« Johannsen stand plötzlich vor ihr und musterte sie prüfend.
Hanna blinzelte und räusperte sich dann umständlich.
»Danke, alles bestens.«
»Sie sehen aber nicht so aus«, sagte der Arzt. »Kommen Sie. Trinken wir einen Kaffee zusammen.«
Gute Idee, fand Hanna und ließ sich bereitwillig über den Dorfplatz zur Bäckerei Möller führen. Das kleine angegliederte Café bot die Kuchenspezialitäten des Hauses und traditionellen deutschen Filterkaffee an. Drei runde Tische standen unter einer Markise. Johannsen rückte Hanna einen Stuhl zurecht.
»Mit Cappuccino oder Latte Macchiato können wir hier nicht dienen, aber der Kaffee ist wirklich gut.«
Hanna nickte. »Ich trinke gern Filterkaffee.«
Johannsen ging kurz in die Bäckerei, um die Bestellung aufzugeben. Dann setzte er sich dicht neben Hanna und fragte ohne Umschweife: »Was war da eben los?«
Sie wand sich innerlich, hielt seinem Blick jedoch stand. »Sieht so aus, als hätte ich gestern ein paar Gläschen zu viel von Luises Wacholderschnaps genossen.«
»Entgegen meiner ausdrücklichen Anweisung.« Johannsen setzte ein strenges Arztgesicht auf.
»Ich bin nicht Ihre Patientin.«
»Nein.«
»Und auch nicht Ihre Freundin.«
»Sicher nicht.«
Der Ton zwischen ihnen wurde kühl, beinahe feindselig. Eine korpulente Frau in den Fünfzigern brachte ein Tablett mit Kaffee und Streuselkuchen.
»Danke, Birthe«, sagte Johannsen und schenkte den Kaffee ein.
Hanna fragte sich, wie es wohl sein mochte, in einem Ort zu leben, in dem die meisten Leute einander mit Vornamen anredeten. Aus Gründen, die sie nicht ganz verstand, musste sie plötzlich an Grete Voß denken, ihre Nachbarin in Altona, eine hilfsbereite alte Dame, die gern Hannas Blumen goss, wenn die mal für ein Wochenende mit Hendrik nach Sylt fuhr. Sonst hatte Hanna niemanden in ihrem Mietshaus gekannt. Und was hieß schon kennen! Dass Grete Voß bereits seit Wochen im Altenheim lebte, hatte Hanna erst erfahren, als es wieder einmal Zeit geworden war, die alte Dame zu bitten, ein paar Tage lang ihre Blumen zu gießen. Bis heute verspürte Hanna ein schlechtes Gewissen, wenn sie an Grete Voß dachte. Sie nahm sich vor,
Weitere Kostenlose Bücher