Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
dass der Junge ein anderes Mädchen in den Keller gelockt hatte. Dort hatte er es gefangen halten und von den Eltern Lösegeld erpressen wollen, um nach Amerika durchzubrennen. Das Mädchen konnte flüchten und zeigte ihn an. Das Letzte, was Hanna hörte, war, dass der junge Kidnapper in einem Erziehungsheim gelandet war. Seitdem vertraute sie auf ihre besondere Art von Wahrnehmung, die für sie mal eine Gabe, mal ein Fluch war.
In Johannsens Fall eher ein Fluch. Hanna verspürte keinerlei Verlangen danach, bei diesem Mann einem dunklen Geheimnis auf die Spur zu kommen. Bei Westermann hatte sie einen Hautkontakt bisher erfolgreich vermeiden können. Als sie ihn am Abend zuvor für kurze Zeit überwältigt hatte, da hatte sie nur den Stoff seines Hemdes zu fassen gekriegt. Insgeheim fürchtete sie sich davor, auch bei ihrem Kollegen etwas an Schwingungen aufzufangen. Sie fand, für den Anfang hatte sie schon genug Schwierigkeiten am Ort ihrer Verbannung.
»Hören Sie mir zu, Frau Petersen?«
Hanna verschränkte ihre Hände unter dem Tisch, damit Johannsen bloß nicht auf die Idee kam, sie noch einmal anzufassen. Schwingung hin oder her – so oder so war es besser, ihm nicht zu nahe zu kommen. Besser für ihren Seelenfrieden.
»Selbstverständlich«, log sie.
»Und Sie werden sich vor ihm in Acht nehmen?«
Hanna biss sich auf die Lippen.
Mist! – Von wem redete er bloß?
»Er könnte wirklich gefährlich werden.«
»Ah ja.«
»Mit so einem Mann ist nicht zu spaßen.«
»Schon klar.«
»Er könnte es möglicherweise auf Sie abgesehen haben. Eine junge Frau, neu in der Gegend – na, Sie wissen schon.«
»Verstehe.«
»Nicht, dass Ihnen hier bei uns gleich am Anfang etwas passiert.«
»So leicht bin ich nicht einzuschüchtern«, knurrte Hanna, der es langsam zu bunt wurde.
Johannsen lehnte sich zurück, warf den Kopf in den Nacken und lachte los. »Wenn Sie mir gerade beweisen wollten, dass Sie eine aufmerksame Kommissarin sind, so ist das aber gründlich schiefgegangen«, prustete er, als er wieder Luft bekam.
»Was zum Teufel soll das?«, fragte Hanna eingeschnappt. »Ich habe keine Zeit, mit Ihnen irgendwelche Spielchen zu spielen, Herr Doktor.«
Sie legte alle Verachtung, die ihr zur Verfügung stand, in den Tonfall ihrer Stimme. Erstaunt stellte sie fest, wie er dabei blass wurde. Schau an, dachte sie, habe ich da einen wunden Punkt getroffen? Ganz so selbstsicher, wie er sich gab, war dieser Landarzt jedenfalls nicht.
Johannsen hob beschwichtigend die Hände.
Schöne Hände, stellte Hanna fest. Kräftig, aber zugleich feingliedrig. Sie musste sich räuspern. »Wenn Sie mir etwas mitteilen wollen, dann tun Sie es jetzt bitte. Sie möchten mich warnen? Vor der allgemeinen Feindseligkeit, die ich seit meiner Ankunft gestern schon genießen durfte, oder vor jemandem im Besonderen? Auf Dorftratsch gebe ich allerdings nicht viel.«
Wenn er beleidigt war, ließ er es sich zumindest nicht anmerken.
»Wie ich eben schon sagte, nehmen Sie die Zurückhaltung der Leute nicht so schwer. Die Heidjer sind nun mal ein zugeknöpftes Völkchen, und Ihr Vorgänger …«
Hanna unterbrach ihn mit einem Stoßseufzer. »Bitte jetzt keine weiteren Lobreden auf die Legende Karl Överbeck. Ich verspreche, ich werde zur Denkmalsenthüllung erscheinen, wenn es so weit ist. Kommen Sie zur Sache.«
»Es geht um den Grafen.«
»Adelstitel sind in Deutschland abgeschafft«, erklärte Hanna, wie schon vorhin.
Schien bloß in Hasellöhne keinen Menschen zu kümmern.
»Hier bei uns nicht«, bestätigte ihr Johannsen. »Jedenfalls nicht in den Köpfen der Leute. Fallersleben ist so etwas wie der König dieser Gegend.«
»Wird ja immer erlauchter«, murmelte Hanna.
Johannsen überhörte ihren Einwurf. »Ihm gehören achtzig Prozent allen Grund und Bodens. Und das größte zusammenhängende Jagdrevier. Er ist natürlich auch Vorsitzender des örtlichen Jagdvereins und veranstaltet je den Herbst eine große Treibjagd, zu der illustre Gäste aus Hamburg anreisen. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf …«
»Danke, nicht nötig.«
»… dann versuchen Sie, sich nicht gleich mit ihm anzulegen. Er ist ein mächtiger Mann und könnte Ihnen das Leben hier schwerer machen als nötig.«
Hanna zog die Augenbrauen hoch und stellte fest, dass ihr Kopfweh endgültig verschwunden war. So schlimm konnte dieser Wacholderschnaps nicht sein. So ein kleiner Schuss in ihren Kaffee wäre jetzt nicht verkehrt gewesen. »Sagen Sie mal, Herr
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