Mord nach Liste
Dieser Mann erinnerte Regan an ihre Kindheit, als sie mit ihrem Bruder Aiden in den Zoo gegangen war. Damals war sie sieben oder acht gewesen. Sie wusste noch, dass sie in einem überfüllten, großen grauen Steingebäude gewesen waren, in dem es muffig roch. Am Ende eines langen Ganges befand sich das neue Gorillagehege, das noch nicht fertig gestellt war. Durch ein doppeltes Gitter waren die Tiere von den Zoobesuchern getrennt, noch fehlte eine dicke, unzerbrechliche Plexiglasscheibe. Regan riss sich von Aiden los und flitzte durch die Menschenmenge, wollte sich nach vorne durchdrängeln, bevor jemand anders den freien Platz vor dem Käfig einnahm. Sie schaffte es bis direkt vor die Gitterstäbe, aber der Gestank dort verschlug ihr den Atem. Er war unerträglich, Regan musste würgen. Aiden trug sie nach draußen an die frische Luft.
Den schrecklichen Geruch aus dem Gorillakäfig hatte sie noch immer in der Nase. Aber der Mann, mit dem sie gerade zusammengestoßen war, stank noch schlimmer.
Regan musste über die Erinnerung lachen; ihre Laune besserte sich schlagartig. Leider war sie nicht von langer Dauer.
Sie verließ Neiman Marcus und eilte mit Aktentasche und Einkaufstüte in der einen und ihrem Portemonnaie in der anderen Hand eine Seitenstraße entlang. Erneut stieß sie mit einem Mann zusammen. Er war doppelt so groß wie sie. Bin ich vielleicht unsichtbar?, fragte sie sich. Zweimal an einem Tag!
Dieser Mann entschuldigte sich nicht einmal. Ganz im Gegenteil, er trat ihr wie mit Absicht auch noch auf den Fuß. Ohne sich umzusehen, lief er davon. Regans Zeh tat weh; sie humpelte zu Dickerson’s Bath Shop. Es war erst Mittag, das konnte nur noch besser werden, sagte sie sich. Einfach positiv denken!
Sie betrat Dickerson’s, und schon war es vorbei mit den positiven Gedanken. Die Verkäuferin war etwas älter und trug ein Namensschild, das sie als »Patsy« auswies. Sie lehnte am Kassentisch und telefonierte. Den Hörer hatte sie sich zwischen Ohr und Schulter geklemmt und feilte sich die Fingernägel.
Patsys Gesicht war knallrot; offenbar regte sie sich über etwas auf. Sie bemerkte Regan und machte ihr ungeduldig Zeichen, kurz zu warten. Dann redete sie weiter. Die Frau war Ende fünfzig oder Anfang sechzig, plapperte aber wie ein junges Mädchen. Wie es sich anhörte, unterbreitete sie einer Freundin den neuesten Klatsch über eine gewisse Jennifer. Regan wollte nicht lauschen, konnte aber nicht verhindern, einiges mitzubekommen. Die herzlosen Bemerkungen der Verkäuferin entsetzten sie.
Sie stellte sich ans Ende des Glastresens, um nicht länger zuhören zu müssen. Nach einigen Minuten nahm sie eine Körperlotion und wollte sie bei einer anderen Verkäuferin bezahlen. Doch Patsy rief ihr nach, sie solle warten, legte auf und tippte die Summe ein. Als sie Regan die Tüte reichte, war ihr die Verstimmung deutlich anzusehen. Ohne ein weiteres Wort stolzierte die Verkäuferin davon. Regan wunderte sich über das unfreundliche Verhalten dieser Frau.
Regan war wirklich froh, als sie wieder im Hotel war. Aber auch dort wurde es nicht besser. Den Rest des Nachmittags verbrachte sie damit, wie die Feuerwehr einen Brandherd nach dem anderen zu löschen.
Sie arbeitete bis sechs, dann lief sie zum Frischmachen hoch in ihre Suite. Um Viertel nach sechs stand sie wieder im Foyer und wartete auf Cordie. Ihre Freundin kam mit dem Taxi. Das bedeutete, dass ihr alter Ford wieder mal kaputt war. Also bestellte Regan ihren eigenen Wagen, dann ging sie nach draußen und begrüßte Cordie.
»Was ist es diesmal? Der Kühler?«
»Nein, der Auspuff«, rief Cordie ihr zu. »Ich kaufe morgen einen neuen und baue ihn am Wochenende ein.«
Regans Wagen wurde gebracht. Der Portier hielt ihr die Tür auf.
»Ich weiß, was Sie denken, Terry«, sagte Regan und schlüpfte hinter das Lenkrad ihres fünfzehn Jahre alten Chevys.
Der Portier grinste. »Sie sollten wirklich überlegen, ob Sie ihn nicht besser verkaufen.«
»Soll das ein Witz sein? Der ist in einem hervorragenden Zustand!«, rief Cordie über den Fahrersitz nach draußen.
Sophie stand nicht auf der Straße, als sie vor dem Gebäude hielten, in dem sie eine Wohnung gemietet hatte. Dreimal mussten sie um den Block fahren, ehe Sophie endlich auftauchte. In der Zwischenzeit berichtete Regan Cordie von ihrem schrecklichen Tag und klagte, sie verliere langsam den Glauben an die Menschheit. Kaum war Sophie eingestiegen, kam Regan auf der Fahrt zum zehn Meilen
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