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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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sich mir gegenüber.
    »Ich wußte, es hört sich zu schön an,
um wahr zu sein.« Ich probierte den Kaffee und fand ihn hervorragend, selbst
bei meinem wenig raffinierten Geschmackssinn. »Woher wußten Sie, daß ich weder
Milch noch Zucker nehme?«
    »Das ist charakteristisch für die
Menschen unserer Gruppe.« Auf meinen ungläubigen Blick hin fügte er hinzu: »Ich
nehme wirklich weder das eine noch das andere und habe einfach nur vergessen,
Ihnen Milch und Zucker anzubieten.«
    »Die negativen Züge, von denen Sie
sprachen — viele davon treffen wirklich auf mich zu«, sagte ich. »Diese
mangelnde Flexibilität...?«
    Er nickte.
    »Kurz nach meinem Abschluß fand ich
keinen Job, da habe ich einen Persönlichkeitstest gemacht, um herauszubekommen,
ob ich mich — lachen Sie nicht! — für das Verkaufen von Lebensversicherungen
eignete. Wissen Sie, was dabei herauskam? Man schrieb mir, ich sei ›aufdringlich,
hart und dominierende.«
    Er hob mir Nixon entgegen. »Das ist
unsere Gruppe.«
    »Was können sie mir sonst noch über uns
erzählen?«
    »Haben Sie schon einmal daran gedacht,
ein Einsiedlerleben zu führen? Sind Sie manchmal hochmütig? Reizbar?«
    »Seit fast einem Jahr geht mir das so —
als hätte ich eine Mauer um mich gezogen, damit mir niemand zu nahe kommt.«
    »Schlechtes Zeichen. Ungesundes Ende
einer Entwicklung. Aussicht auf eine schleichende Paranoia. Sie könnten von
bestimmten Vorstellungen heimgesucht werden, sich als Opfer zahlreicher,
undefinierbarer Bedrohungen fühlen. Wenn das passiert, nähert man sich einem
nicht normalen Geisteszustand mit schizophrenen Tendenzen.«
    Ich verschluckte mich an meinem Kaffee.
»Sie hören sich fast wie eine Wahrsagerin an, die ich einmal gekannt habe.«
    Er lächelte und tätschelte meine Hand.
»Kopf hoch. Wenn Sie durchdrehen, habe ich einen guten Psychiater für Sie.«
    Ich trank noch einen Schluck Kaffee,
fühlte mich entspannt und gesellig und seltsam lustlos, unser Gespräch wieder
auf das Thema zu bringen, dessentwegen ich da war. Doch schließlich sagte ich:
»Zu welcher Gruppe gehörte Tracy?«
    Er schwieg und blickte in seine Tasse.
    »Nach allem, was man mir erzählt hat,
muß sie Ihren Sinn für Humor geerbt haben.«
    »In Wirklichkeit ähnelte sie mehr ihrer
Mutter. Laura hat nur sehr wenig Sinn für Humor, und Tracy hatte nicht die
Bohne davon.«
    Ich dachte an das, was Jay Larkey mir
gesagt hatte — daß sich Tracy für eine Comedy-Schauspielerin sehr ernst
genommen hatte. »Wie können Sie sich dann erklären, daß sie zur Comedy gegangen
ist?«
    »Das war eine natürliche Folge ihrer
analytischen Fähigkeiten. Sie wußte, was und wie man andere Leute zum Lachen
brachte. Sie selbst hat nicht sehr viel gelacht. Manchmal sehen Außenstehende
genauer, was in einem Menschen vorgeht, als der Betroffene selbst.« Er schwieg
eine Weile und sah mich dann an. »Sie haben es also geschafft, nicht wahr?«
    »Was habe ich geschafft?«
    »Mich zum Reden zu bringen, über Tracy,
obwohl ich gesagt hatte, daß ich nicht will.«
    »Das war keineswegs so kalkuliert.«
    »Das glaube ich auch nicht. Doch
nachdem Sie mich nun einmal dazu gebracht haben, anzufangen, kann ich
genausogut weitermachen. Gehen wir aber zurück ins Wohnzimmer. Hier drinnen ist
eine zu fröhliche Atmosphäre, um über jemanden zu sprechen, den ich geliebt
habe und der jetzt tot ist.« Er lauschte seinen eigenen Worten nach und
schüttelte dann den Kopf. »Andererseits erfüllt mich meine Erinnerung an Tracy
mit solcher Wärme, daß der kühle Raum da vorne genau das richtige ist.«
    Wir gingen zurück zu unseren unbequemen
Sesseln am Kamin, und George erzählte von seiner Tochter. Er sprach nicht in
seiner Psychologenterminologie, nicht einmal aus einer gewissen Distanz,
sondern als immer noch trauernder Vater.
    Tracy war als Frühgeburt auf die Welt
gekommen. Ein paar Tage lang befürchteten er und Laura, sie könnten sie wieder
verlieren. Aber ihr Wille erwies sich stärker als ihr winziger Körper, und sie
kam bald zu Kräften.
    Kaum hatte sie sprechen gelernt,
verlangte sie auch schon lautstark nach einem Schwesterchen. Laura konnte keine
Kinder mehr bekommen, aber das konnte ein kleines Kind nicht begreifen.
    Sie hatte fünf Katzen gehabt. Alle
hatten ein schlimmes Ende gefunden — unter dem Auto, durch Leukämie, durch den
Nachbarshund. Nach dem Tod der fünften hatte sie ihren Eltern verkündet, daß
sie nie mehr ein Haustier haben wollte. Und dabei war sie

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