Mord ohne Leiche
geblieben.
George hatte sich eine Zeitlang Sorgen
gemacht, denn sie hatte immer mehr imaginäre Freunde als wirkliche. Doch sie
war schneller groß geworden als diese Freunde, und als er Tracy zum erstenmal
Comedy hatte spielen sehen, war ihm klargeworden, welch schöpferische
Entwicklung sie den Spielkameraden von einst zu verdanken hatte.
Während ihres letzten
High-School-Jahres war sie schwanger geworden. Er und Laura waren mit einer
Abtreibung einverstanden gewesen. Es waren keine erkennbaren emotionalen Narben
zurückgeblieben.
Beide hatten sie gewußt, daß Tracy auf
dem Foothill Junior College nicht glücklich war, und mit gewissem Unbehagen
hatten sie feststellen müssen, daß sie sich immer mehr von der Comedy
gefangennehmen ließ. Als sie den Wunsch äußerte, nach San Francisco zu ziehen,
war er zunächst dagegengewesen. Aber Laura hatte ihm klargemacht, welchen
Schaden das Überbehütetsein in der Familie bei Kindern anrichten kann, und so
hatte er schließlich nachgegeben.
Nein, sagte er, er mache Laura keinen
Vorwurf daraus, daß sie ihn gedrängt hatte, den Umzug zu gestatten, der
schließlich zu Tracys Tod geführt hat.
Nein, er und Tracy hätten in den
letzten drei oder vier Jahren ihres Lebens nicht viel miteinander geredet. Er
hatte es für einen Teil des natürlichen Ablösungsprozesses gehalten.
Hat sie die Kreditkarten ihrer Eltern
mißbraucht? Er habe nicht den Eindruck gehabt, doch es sei Laura gewesen, die
die Abrechnungen geprüft habe, und sie habe stets zu übergroßer Nachsicht
geneigt, wenn es um Tracy ging.
Nein, er glaube nicht, seine Tochter
wirklich gekannt zu haben. Jedenfalls nicht zur Zeit ihres Todes.
Ja, er glaube wirklich, daß sie tot
sei. Im Gegensatz zu Laura habe er keine Illusionen.
»Warum?« fragte ich.
»Ich war bei der Gerichtsverhandlung.
Ich sah die Beweise, die Tag für Tag vorgelegt wurden. Es gibt keinen Zweifel,
sie ist tot.«
Er hatte die Hände zwischen die Knie
gepreßt. Die Knöchel traten weiß unter der braunen Haut hervor. Seine Augen
gingen jetzt ins Grünliche. Ich versuchte, seinen Blick zu halten, aber er
glitt zur Seite.
Schließlich seufzte er. »Vielleicht vor
allem, weil ich daran glauben muß .«
»Warum?«
»Wäre sie nicht tot, hätte sie etwas
Entsetzliches begangen. Wäre sie nicht tot, dann wäre sie jemand, den ich nicht
mehr als mein Kind akzeptieren wollte.«
Nach einem Augenblick fügte er hinzu:
»Bitte, Sharon, finden Sie Tracy nicht lebend. Und wenn doch, bringen Sie sie
mir nicht zurück.«
8
Nachdem ich mich von Kostakos
verabschiedet hatte, hielt ich an einer Telefonzelle und rief im Café Comédie
an. Larkey war nicht da, aber die Frau, die sich gemeldet hatte, gab mir aus
ihren Unterlagen die letzte Adresse von Lisa McIntyre, der Bedienung, mit der
Bobby Foster befreundet gewesen war. Ich wählte die Nummer, mußte aber
feststellen, daß sie jetzt jemand anderem gehörte, der nie den Namen McIntyre
gehört hatte. Danach rief ich Marc Emmons an, erreichte aber nur den
Anrufbeantworter. Rae war es am Tag zuvor ähnlich gegangen, als sie versucht
hatte, eine Verabredung für mich zu treffen, daher hielt ich es für das beste,
ihn abends im Club abzufangen.
Die Auskunft hatte keinen aktuellen
Eintrag für McIntyre, aber ihre alte Adresse lag nicht weit entfernt an der
Pacific Avenue, kurz hinter der Polk Street. Ich beschloß, hinzufahren, um
herauszufinden, ob jemand wußte, wohin sie gezogen war. Möglicherweise hatte
einer von den Nachbarn noch Kontakt zu ihr.
Das Haus an der Pacific war ziemlich
groß, zum Teil gewerblich genutzt, mit einer Polsterwerkstatt, einer Bäckerei
und einem Drugstore im Erdgeschoß und Apartments im ersten Stock. Wie erwartet,
trug keiner der Briefkästen in der Eingangshalle den Namen McIntyre. Ich
läutete bei der Hausverwalterin, doch ohne Erfolg. Dann klingelte ich an den
übrigen sieben Apartments. In zwei Wohnungen war jemand zu Hause. Beide hatten
nie etwas von Lisa McIntyre gehört. Auch von den Leuten, die unten in den
Geschäften arbeiteten, erinnerte sich niemand an sie. Sie achteten nicht
besonders auf die Bewohner, erklärte mir einer der Männer.
Ich beschloß, Rae die Suche nach Lisa McIntyre
zu überlassen. Seit der Trennung von ihrem Mann hatte meine Assistentin eine
grenzenlose Begeisterung für jede Art von Routinearbeit entwickelt. Außerdem
nahm Lisa McIntyre keine zentrale Stellung in meinen Ermittlungen ein. Ich
wollte nur mit ihr sprechen, um
Weitere Kostenlose Bücher