Mord ohne Leiche
herauszufinden, ob sie ein wenig Licht in die
ungewöhnlich hochgespannte Situation bringen konnte, die Larkey bei seinen
jüngeren Angestellten kurz vor Tracys Verschwinden festgestellt hatte.
Ich ging zu meinem MG zurück und
überlegte den nächsten Schritt. Leora Whitsun, Fosters Mutter, besuchte
Verwandte in Los Angeles und würde erst Neujahr wieder zurück sein, wenn sie
wieder Dienst in der Potrero Medical Clinic hatte. Es gab noch andere Freunde
von Tracy, die ich befragen konnte — Mitglieder ihrer Improvisationsgruppe zum
Beispiel — , aber die schienen mir eher Randfiguren zu sein. Sie hätten mir
zwar etwas über Tracy erzählen können, aber ich glaubte, hierzu bereits genug
Material zu haben. Außerdem würde man Freitag vor Silvester wohl kaum jemanden
daheim antreffen.
Ich dachte noch einmal an Marc Emmons:
an seinen ständig eingeschalteten Anrufbeantworter, an seinen plötzlichen
Aufbruch vom Club am Abend zuvor. Vielleicht hörte er die Anrufe auch mit, ließ
mich aber schmoren. Da seine Adresse auf dem Potrero Hill keinen allzu großen
Umweg auf meiner Heimfahrt bedeutete, konnte ich schließlich dort vorbeikurven
und nachsehen, ob es einen Hinweis auf seine Anwesenheit gab.
Emmons wohnte an der Mariposa, nicht
weit von der Missouri Street, im Herzen des ganz im Trend liegenden Viertels,
das sich den Hügel hinauf zog. Der Wandel in diesem vorwiegend von Arbeitern
einer ethnisch gemischten Bevölkerung bewohnten Stadtteils hatte in den
Siebzigern eingesetzt. Damals hatte die Mittelklasse die sonnige Lage dort
entdeckt und die noch vernünftigen Bodenpreise. Inzwischen gibt es hier ein
buntes Gemisch aus renovierten Gebäuden, neuen Apartmenthäusern und
Eigentumswohnanlagen neben älteren, schäbigeren Behausungen.
Eisenwarengeschäfte, Lebensmittelläden an der Ecke und Bars, die schon
Generationen überdauert haben, stehen dort Seite an Seite mit Patisserien,
Weinhandlungen und Restaurants, die die Bedürfnisse der neuen Schicht bedienen.
Emmons Haus gehörte zu den neueren:
entartete Viktorianik aufgestockt, mit Oberlichtern, Holzveranden und
ausgebauten Blumenfenstern, und das Ganze in Himmelblau. Auf einem Schild pries
der Bauträger Ein-, Zwei- und Dreizimmer-Apartments an, Whirl-Pool, Sauna,
Fitneßraum und dazu ein komplettes Sicherheitssystem. Ich war überrascht, daß
sich ein Mann, der mit Stegreif-Comedy sein Geld verdiente, so etwas leisten
konnte, aber schließlich wußte ich ja nicht, was Larkey ihm dafür zahlte. Vielleicht
hatte er auch — wie Tracy — wohlhabende und tolerante Eltern.
Ich läutete bei 7 A, erhielt aber keine
Antwort. Dann ging ich ans Gittertor und spähte durch die Stangen auf den
tiefer gelegenen Parkplatz, um festzustellen, ob der zum Apartment gehörende
Stellplatz besetzt war. Soweit ich sehen konnte, war er das nicht.
Langsam beschlich mich das Gefühl, daß
heute nicht mein Tag war. Das beste, was ich tun konnte, war wahrscheinlich
nach Hause zu fahren und am Abend wieder im Café Comédie anzufangen. Ich fuhr
die Missouri in südlicher Richtung hinunter und wollte dann über die Army
Street durch die Stadt in mein ruhiges kleines Viertel in der Nähe des
Glen-Park-Bezirks fahren. Doch bevor ich sie erreicht hatte, bog ich nach Osten
ab, in Richtung der Potrero-Annex-Projects, wo Bobby Foster aufgewachsen war.
Nach ein paar Blocks machte die
Missouri eine Biegung und führte dann steil bergab. Vor mir lag ein ganzer
neuer Potrero-Hügel. Nur wenige Minuten entfernt von den Luxus-Apartmenthäusern
mit ihren Saunas und Whirl-Pools lag dort ein fremd wirkender, völlig
andersartiger Wohnkomplex. Er war auch so andersartig als fast der ganze Rest
der Stadt, daß man meinen konnte, man wäre in einer anderen Welt.
Die in zwei Reihen
übereinandergestaffelten graubraun gestrichenen Häuserzeilen zogen sich über
den ganzen Hügel hin. Von ihren Fenstern aus mußte der Blick auf die Bucht und
die Brücke, die die Stadt mit Oakland verband, hinreißend sein — es sei denn,
sie waren zu eng gegeneinander versetzt und vergittert. Ich hielt an einer Ecke
an, wo ein paar ausgebrannte und ausgeweidete Autowracks standen. Weiter unten
lehnten Schwarze in kleinen Gruppen an weiteren zerbeulten und vor sich hin
rostenden Fahrzeugen, tranken und fixten höchstwahrscheinlich auch. Auf einer Motorhaube
stand ein Ghetto-Revolverheld, und Rap-Musik erfüllte die Luft. Ein paar Kinder
krabbelten und wühlten in der Gosse herum. Ich beobachtete, wie eines von
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