Mord ohne Leiche
erste Stelle zu setzen, wissen aber
auch, daß sie nicht der Mittelpunkt der Welt sind. Sie können anderen Menschen
oft äußerst nützlich sein, weil sie auf sich selbst aufpassen. In ihrem Streben
sind sie häufig sehr erfolgreich. Wenn ich sage, Laura sei egoistisch, dann
meine ich, sie paßt auf sich selbst auf. Es ist ihre Art, durch’s Leben zu
kommen.«
»Besonders gut scheint ihr das in
letzter Zeit aber nicht zu gelingen.«
»Nein.« Er zögerte, und wieder
verfinsterte sich sein Blick. »Aber ich kann nichts dagegen tun.«
»Sie sprachen von Lauras Art, durch’s
Leben zu kommen. Wie ist das bei Ihnen?« Das war eine sehr persönliche Frage, aber
Kostakos schien mir aufrichtig genug, um sie zu beantworten, und ich wollte ihn
am Reden halten.
Er wies auf den Schreibtisch am
vorderen Fenster. »Ich habe meine Arbeit. Sie hält mich von mir selber fern.«
»Laura sagte mir, Sie beide hätten sich
in Standford beurlauben lassen. Lehren Sie im Moment woanders?«
»So etwas ähnliches. Ich arbeite in
einer Gruppe, die sich ›Living Victims‹ (›Überlebende Opfer‹) nennt. Haben Sie
davon gehört?«
»Nein.«
»Es ist eine Selbsthilfegruppe für
Freunde und Verwandte von Mordopfern. Ähnlich wie ›Parents of Murdered Children‹
(›Eltern ermordeter Kinder‹), nur beschränkt sie sich nicht auf Blutsverwandte.
Sie haben mir sehr geholfen, als ich hierher in die Stadt gezogen war, und
jetzt bemühe ich mich, mich ein wenig zu revanchieren, indem ich ihnen helfe,
ihre Entschädigungsanträge zu stellen. Außerdem arbeite ich an einem Buch, mit
dem ich... schon vorher angefangen hatte.«
»Wovon handelt das Buch?«
»Es entwirft ein psychologisches Modell
— « Er brach ab. »Das wollen Sie bestimmt gar nicht hören.«
»Doch, das möchte ich. Ich hatte an der
Berkeley Soziologie im Hauptfach, und an Psychologie habe ich auch so einiges
mitgekriegt.«
Kostakos schien erfreut. Ich hatte den
Eindruck, er war viel alleine, und wenn sein Engagement für Living Victims ihn
auch mit einer ganzen Menge von Leuten in Kontakt brachte, dürften sie doch nur
wenig Interesse an seinen psychologischen Theorien haben.
»Bei dem Modell handelt es sich um ein
Klassifizierungssystem der Persönlichkeit, das auf der jeweiligen Zuordnung
einer Person zum handlungsorientierten, emotionalen oder intellektuellen Typ
beruht«, sagte er. »Innerhalb der verschiedenen Kategorien gibt es wieder drei
Ebenen — die gesunde, die normative und die pathologische. Es ist nichts Neues.
Es ist eine Synthese aus verschiedenen Modellen, die es schon seit geraumer
Zeit gibt. Ich versuche es nur in die Laiensprache zu übersetzen und Leitlinien
zu entwickeln, mit Hilfe derer die Menschen einen gesunden Level anstreben
können.«
»Also ein Buch zur Selbsthilfe?«
Er lächelte trübsinnig. »Ich weiß — eines
mehr in einer endlosen Reihe in den Regalen der Buchhandlungen. Aber ich bin
sehr zuversichtlich, was dieses Projekt angeht. Was den Menschen nicht bewußt
wird, ist die Tatsache, daß es innerhalb jeder Persönlichkeitskategorie
Individuen gibt, die scheinbar nichts gemeinsam haben, weil sie auf
verschiedenen Ebenen operieren. Aber sie alle sind — bis auf die sehr schwer
Gestörten — in der Lage, die höchste Ebene zu erreichen, ohne sich
grundsätzlich in den Punkten ›wer bin ich?‹ oder ›was bin ich?‹ verändern zu
müssen.«
»Können Sie mir das an einem Beispiel
erklären?«
»Sicher. Denken Sie an historische
Leitfiguren — an positive. Wer fällt Ihnen da ein?«
»Nun, in letzter Zeit hatten wir nicht
gerade viele davon, also John Kennedy, Martin Luther King.«
»Okay. Wissen Sie, wer mit diesen
Männern in der gleichen Kategorie ist? Reverend Jim Jones und Charles Manson.«
»Großer Gott.«
»Vom Pathologen zum Gesunden. Dieses
Modell hat nun — « Er brach erneut ab. »Mögen Sie einen Kaffee?«
»Ja, das wäre nett.« Ich stand auf und
fügte hinzu: »Darf ich Ihnen beim Zubereiten helfen? Ich würde gern den Rest
des Hauses sehen.«
»Es ist seltsam, nicht wahr? Ich habe
mich noch immer nicht daran gewöhnt, und das werde ich wohl auch nie.«
Kostakos führte mich um die den Treppe
herum zur anderen Seite der Galerie. Von dort ging es in ein Eßzimmer. Seine
Wände waren wüstengelb und die Tischplatte aus einem Material, das wie
versteinertes Holz aussah. Hohe Kakteen standen in den Ecken wie in die Enge
getriebene Banditen mit zum Himmel gestreckten Armen — oder in diesem Fall,
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