Mord ohne Leiche
Rundbogens. Von außen schien es ein
ganz normales, in die Marina passendes Haus zu sein, wenngleich es durch seine
Lage teurer war als die meisten anderen.
Ganz anders das Innere. Der Besitzer
hatte sich das Paradestück vom Traum eines Innenarchitekten geschaffen. Für
Menschen mit dem schlichten Wunsch, bequem zu leben, mußte es zum Alptraum
werden. Die Wände der Eingangshalle im Erdgeschoß waren knallweiß. Die Halle
war leer bis auf einen schwarzen, polierten Stein auf einem Sockel. Die
teppichlose Treppe führte zu einer Galerie hinauf und von dort ins Wohnzimmer —
ebenfalls weiß mit nacktem, gebleichtem Holzboden. Zwei Zweiergruppen
spartanischer Chrom-Leder-Sessel standen sich im rechten Winkel zum Kamin
gegenüber. Sie schienen mir wie die moderne Entsprechung dieser zierlichen
antiken Sesselchen, auf denen man garantiert nicht sitzen kann und von denen
man höchstwahrscheinlich hinunterfällt, sollte man es dennoch versuchen. Eine
zweite Sitzgruppe am anderen Ende des Zimmers sah genauso wenig einladend aus,
und das einzige Anzeichen dafür, daß hier Menschen wohnten, war ein von Büchern
und Papieren überhäufter Schreibtisch vor dem Fenster. Vermutlich von Kostakos
importiert.
Die Sessel erwiesen sich tatsächlich
als so wenig zum Sitzen geeignet, wie ihr Aussehen hatte vermuten lassen,
jedenfalls für einen längeren Zeitraum. Ich rutschte nun in meinem hin und her
und wartete darauf, daß Kostakos anfing.
Schließlich hob er den Kopf und sah mir
in die Augen. Die seinen waren haselnußbraun mit goldenen Flecken und von einer
Art, die überraschend grün oder blau erscheinen kann. Er sagte: »Ich habe nicht
vor, Ihre Ermittlungen zu behindern, aber ich habe auch keine Lust, Ihnen zu
helfen.«
Ich zögerte und überlegte meine Antwort
sorgfältig. »Ich bitte Sie auch nicht um Hilfe, jedenfalls nicht um eine
substantielle. Der Grund, für dieses Gespräch mit Ihnen ist der, daß ich mir
ein Bild von Ihrer Tochter machen möchte. Ich habe Verschiedenes über sie
gehört — von ihrer Mutter, ihrer Wohnungsgenossin, ihrem Arbeitgeber und Ihre
Aussage könnte das Bild abrunden.«
Er sah mich einen Augenblick lang
aufmerksam an, stand dann auf und ging ruhelos durch den kahlen Raum. Er war
groß und schlank, und sein Körper — er trug ein blaues Chambray-Arbeitshemd und
Jeans — schien vor angestauter Energie zu vibrieren. Ich spürte, daß dieser
Mann nie etwas halb tat. Was immer er in Angriff nahm, er tat es mit voller
Konzentration und all seiner Kraft — sei es Unterrichten, Schreiben, seine
Forschungsarbeit, seien es persönliche Dinge.
Sei ehrlich, McCone, sagte meine häufig
lästige innere Stimme, während ich ihn auf und ab schreiten sah, dein geziertes
Gerede von den »persönlichen Dingen« ist doch nichts als ein euphemistischer
Ausdruck für Sex.
Nicht ganz, gab ich zurück. Und wenn
doch, was soll’s? Darf ich etwa nicht an Sex denken? Ich sollte es sogar
tun, nach all diesen Monaten ohne.
Dennoch blieb dieser Gedanke etwas
beunruhigend, und als Kostakos sich wieder gesetzt hatte, hatte ich Probleme,
ihm in die Augen zu schauen.
Er sagte: »Sie haben mit Laura
gesprochen?«
»Gestern nachmittag.«
»Wie fühlt sie sich?«
»Einsam.«
Auf seine Augen fiel ein Schatten, und
ihre Farbe wechselte zum Grün hin. Die feinen Linien rundherum zogen sich wie
im Schmerz zusammen. Nach einer Weile sagte er: »Das tut mir leid. Ich habe ihr
gesagt, sie solle rausgehen, zurück an die Universität, ihre Therapie
wiederaufnehmen — alles, nur nicht dort im Haus herumsitzen oder in dem
schrecklichen Apartment.«
»Sie wissen von ihren wöchentlichen
Besuchen dort?«
»Ich weiß Bescheid.« Sein Mund bekam
einen harten Zug. Dieses Wissen hatte ihm einen bitteren Geschmack
hinterlassen.
»Amy Barbour weiß auch davon«, sagte
ich. »Sie fürchtet Laura könnte sich etwas antun oder ihr gefährlich werden.«
»Amy Barbour ist ein Dummkopf. Laura
ist nicht fähig, sich oder anderen etwas anzutun. Dafür ist sie viel zu
egoistisch.«
Das harte Urteil schockierte mich.
Kostakos sah es meinem Gesicht an, denn er fügte gleich hinzu: »Egoismus ist
nicht unbedingt ein negativer Charakterzug, wissen Sie.«
»Wenn Sie das sagen — Sie sind der
Psychologe.«
»Es gibt einen Unterschied zwischen
Egoismus und Egozentrik«, sagte er. »Egozentriker sind narzistisch und
ausschließlich in die eigenen Belange versenkt. Egoistische Menschen dagegen
neigen dazu, ihr eigenes Wohlergehen an die
Weitere Kostenlose Bücher