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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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der von Anfang an furchtbar nachlässig bearbeitet
wurde. Wir werden die Sache vorantreiben.« Die Art, wie er das sagte, ließ mich
vermuten, daß er der Polizei von San Francisco gern am Zeuge flicken würde. Ein
Fall wie dieser konnte Gurskis Karriere sehr nützlich sein.
    Ich sagte: »Ich hoffe, es gibt nicht
allzuviel Publicity, bevor Sie nicht sicher sind.«
    »Sehen Sie irgendwelche Reporter hier?«
    »Nein, das nicht, aber es könnte ja ein
Leck geben — «
    »Ich dulde keine Lecks in meiner
Dienststelle.«
    Ich glaubte ihm. Ich sagte, ich würde
am nächsten Tag bei ihm vorbeikommen. Dann raste ich zurück in die Stadt, immer
auf der Hut vor einer Highway-Patrouille.
    Als ich auf Georges Tür zuging, sah
ich, daß das Stück Papier, das daran klebte, an mich gerichtet war und lautete:
»Schauen Sie an der Lagune nach mir.«
    Ich ging den Weg zurück und überquerte
die Straße. Im Gegensatz zu Napa herrschte hier klares Wetter. Rotunde und
Säulengang des Palace of Fine Arts standen im Flutlicht und hoben sich
pinkfarben vom Schwarz der Bäume und des Himmels ab. Hier und da warf eine
Bogenlampe ihr sanft-weißes Licht auf den zementierten Weg und ließ das Wasser
der Lagune glitzern. Die leicht abfallende Rasenfläche lag in tiefem Schatten.
Bis auf die Silhouette eines Mannes, der niedergeschlagen auf einer Bank nah am
Wasser hockte, war keine Menschenseele zu sehen. Ich ging schneller und blieb
vor ihm stehen.
    George sah zu mir auf. Seine Augen
glänzten so unergründlich wie die Lagune, und der Schmerz hatte sich noch
tiefer in seine kantigen Gesichtszüge eingegraben. Einen Moment lang konnte ich
gar nichts sagen. »Es tut mir leid«, sagte ich dann und streckte ihm meine
Hände entgegen.
    Er ergriff sie und zog mich neben sich
auf die Bank. Seine Finger waren eiskalt, aber er schien die Kälte nicht zu spüren.
    Ich fragte ihn: »Sind Sie in Ordnung?«
    »Ja. Ich konnte nur nicht mehr in
diesem lächerlichen Haus bleiben. Da ist mir sogar die Dunkelheit lieber. Hat
das Büro des Sheriffs Tracys Unterlagen bekommen?«
    »Noch nicht, aber sie werden sie bald
haben.«
    Er nickte fast unmerklich.
    »Haben Sie es Laura gesagt?« fragte
ich.
    »Nein, niemandem. Nicht bis...
Niemandem.«
    Wir saßen eine Zeitlang da und hielten
uns an den Händen. Ich hatte kein Wort des Trostes für ihn. Es gab keines, das
ihn hätte trösten können. Er fragte nicht nach Einzelheiten, und ich wollte sie
ihm nicht aufdrängen. Es war noch zu früh dazu, auch zu früh für Überlegungen
über die Umstände ihres Todes, das Wann und Wo. Der Wind nahm zu und kräuselte
das Wasser der Lagune. Ich fröstelte und dachte an das unruhige Wasser des Napa
River. George legte den Arm um mich und zog mich an sich. Seine Finger spielten
in meinem Haar, das mir auf die Schultern hing.
    Er sagte: »Ich muß mich neulich
angehört haben wie ein überheblicher Hurensohn, als ich hochmütig verkündet
habe, ich wollte meine Tochter nicht wiedersehen, weil sie vielleicht etwas ›Entsetzliches‹
getan hätte.«
    »Für manche Leute hätte es vielleicht
so geklungen. Nicht aber für mich. Offen gesagt, ich habe Ihnen nicht
geglaubt.«
    Er zog mich fester an sich. »Ziemlich
seltsam, ich selbst habe mir geglaubt — damals. Aber als Sie anriefen und mir
sagten, Sie hätten sie gefunden — wo und wie — , da wußte ich, wie sehr ich mir
etwas vorgemacht hatte. Nichts — wie fürchterlich es auch gewesen sein mag — könnte
schlimmer sein, als das jetzt.«
    »Ich weiß.«
    Jetzt fröstelte er. Ich rückte näher an
ihn heran, so daß meine Wange seine Daunenjacke berührte. Er legte den anderen
Arm um mich und hielt mich fest. Sein Körper vibrierte vor unterdrückter
Spannung. Als ich zu ihm aufsah, schaute ich in eine weiße steinerne Maske,
regungslos bis auf zwei Tränen, die ihm langsam über beide Wangen liefen. Ich
reichte mit der Hand hinauf und wischte die eine weg. Er berührte die Hand mit
seinen Lippen.
    Für einen Augenblick wollte ich mich
zurückziehen, wegrennen von diesem Mann, der bereits einen Riß in der Mauer
verursacht hatte, die ich so sorgfältig um meine Gefühle errichtet hatte. Aber
ich hielt still, als er seine Finger unter mein Kinn legte, mein Gesicht zu
sich hochhob und mich küßte. Er zog den Kopf zurück, sah mich mit seltsamem
Blick an und küßte mich wieder. Und ich fühlte, wie die Fundamente meiner
Isolation aus Selbstschutz abzubröckeln begannen.
    Nach einer Weile lehnte er sich zurück,
lächelte

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