Mord ohne Leiche
wenigen Worten, welche Wendung sein Fall genommen habe, warnte ihn aber
gleich vor übertriebenem Optimismus. Bobby hörte gespannt zu, leckte sich die
Lippen und preßte sie dann zusammen, als schließe er so seine Gefühle ein.
Nachdem Jack ausgeredet hatte, schwieg
Bobby eine Zeitlang. Dann sah er mich an. »Sie sagten, Sie versuchen es, und
Sie haben es geschafft. Danke. Dafür, und daß Sie mir geglaubt haben.« Ein
schneller Blick zu Jack. »Ihnen auch.«
Jack nickte.
Ich sagte: »Wie Jack schon erklärte — wir
sind noch lange nicht über den Berg. Ich habe noch eine Menge zu tun. Wir
müssen die Beweise zusammenstellen — alle.«
»Die Beweise, Bobby«, sagte ich noch
einmal. »Zum Beispiel, worüber Sie und Tracy in der Nacht gestritten haben, in
der sie verschwand. Es muß etwas gewesen sein, von dem Sie glaubten, es würde
ihre Lage noch verschlechtern, nicht wahr? Etwas, dessen Sie sich so sehr
schämen, daß Sie es die ganze Zeit für sich behalten haben.«
»...Weiß nicht, was Sie damit meinen.«
»Sie wissen es, und es wäre besser, Sie
sagten es mir.«
»Tracy ist tot. Es hat nichts mehr zu
bedeuten.«
»Es hat sehr viel zu bedeuten.«
Er schwieg.
Ich holte Tracys Notizbuch mit den
Rollenskizzen aus meiner Aktentasche und klappte die letzte Seite auf. »Klingt
das nach jemandem, den Sie kannten, Bobby?«
Er sah mich an, dann das Notizbuch. Er
war verwundert.
Ich las: »›Sie hat es sich zur
Gewohnheit gemacht, jedes Gefühl, auch das eigene, zu ihrem Vorteil
einzusetzen. Alles ist nützlich. Sie schläft mit diesem und jenem, und das nur
um der fremdartigen Erfahrung willen.‹«
Er machte eine Handbewegung, als wolle
er die Worte wegwischen.
»Tracy benutzte die Menschen«, sagte
ich. »Sie ließ ihre Freunde sich ihr anvertrauen und entwickelte dann ihre
Rollen auf der Basis solcher Bekenntnisse. Wenn ihr einmal Material fehlte,
dann schuf sie es sich. So wie sie auch mit Ihnen geschlafen hat.«
Jack brummte überrascht. Bobby verbarg
den Kopf in den Händen, die Finger verkrampft an die Schädeldecke gepreßt.
»Wenn Sie das tröstet«, setzte ich
hinzu, »sie hat bedauert, was sie getan hat. Ihrer Mutter hat sie gesagt, sie
glaube, daß sie sich zu einem schlechten Menschen entwickelt habe. Sie habe
Dinge getan, die andere verletzten.«
Er murmelte etwas.
»Wie bitte?«
»Mir hat sie’s anders erzählt. Das
war’s, worum wir gestritten haben. Ich wußte, was wir taten, war schlecht. Wir
waren Freunde. Ich habe sie geliebt, aber nicht so.«
»Wann haben Sie mit ihr geschlafen?«
»Zwei, vielleicht drei Wochen vorher.«
»Wie oft?«
»Nur das eine Mal.«
»Und an diesem Donnerstagabend...?«
»Ich wollte mit ihr darüber reden, ihr
sagen, daß es nicht wieder passieren darf. Ich wollte wissen, warum — Also, sie
war es, die die Sache angefangen hat. Aber sie hat kein Wort gesagt. Ich sagte,
wir müssen uns aussprechen, und sie sagt...«
»Sie sagte...?«
»Daß es nichts Besonderes war. Sie
hätte es getan, weil sie in ihrem Sketch ein weißes Mädchen braucht, das mit
schwarzen Männern schläft. Sie wollte aus erster Hand wissen, wie es ist.
Wissen Sie, wie ich mir vorkam? Wie ein Sklave, der den Zuchthengst spielen
darf. Das habe ich ihr gesagt, und sie sagte ein paar häßliche Dinge. War das
letzte, was ich von ihr gehört habe.«
Er hob den Kopf. Seine Augen waren
feucht und düster. »Jetzt können wir es nie mehr ins reine bringen. Sie ist
tot, und ich kann ihr nicht mehr sagen, daß es mir leid tut.«
Neben mir räusperte Jack sich und
rutschte auf dem Stuhl hin und her. Auch ich fühlte mich nicht gerade wohl in
meiner Haut, aber ich ließ nicht locker. »Okay — ihr habt gestritten, und
dann?«
Bobby wischte sich die Augen mit dem
Ärmel, bevor er antwortete. »Sie ist weggerannt, hat irgendwas gesagt, daß sie
zu Marc geht.«
Das machte mich nachdenklich. Emmons
hatte nichts von einer Verabredung mit Tracy an jenem Abend gesagt. »Hat er
nicht an der Bar gearbeitet?«
»Glaube nicht. Er arbeitet nur
stundenweise.«
»Marc sagte mir, sie hätten sich
getrennt.«
»Stimmt, aber immer, wenn sie etwas
wollte, ist sie zu ihm gegangen. Und Marc, der liebte sie, und deswegen hat er
immer getan, was sie wollte.«
Doch auch Liebe hat ihre Grenzen,
dachte ich, und wenn man an die Grenzen stößt, kann es häßlich werden. »In
Ordnung«, sagte ich, »und was haben Sie dann gemacht?«
»Bin einfach rumgelaufen. Eingekehrt
auf ein paar
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