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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht mehr.
    Heute abend hing der Beweis drüben am
Ende der Bartheke, ein Glas Scotch vor sich. Die »Happy hour« hatte gerade
begonnen, und die meisten Besucher machten einen großen Bogen um Hank. Selbst
Brian, der Barkeeper, blieb auf Distanz. Ich winkte ihm zu und deutete auf
Hank. Das signalisierte ihm, daß ich mein Glas Weißwein dort serviert haben
wollte.
    Als ich auf den Hocker neben ihm
rutschte, würdigte Hank mich keines Blickes. Erst als Brian den Wein vor mich
hinstellte und von dem Haufen aus Scheinen und Münzen auf der Bar einen Dollar
und 25 Cents nahm, sah er überrascht auf.
    »Den bist du mir schuldig«, sagte ich.
    »So?« Hinter den dicken Brillengläsern
sah ich einen verschwommenen Blick in die Ferne. Auch brauchte er dringend eine
Rasur.
    »Ja. Du warst einfach ekelhaft zu mir
am Silvesterabend.«
    »War ich das?«
    »Hm. Du hast mich aus deinem Büro
geworfen und mir gesagt, ich soll mir einen Gigolo suchen, ihn mit nach Hause
nehmen und mit ihm bumsen.«
    »Das habe ich gesagt?«
    Ich nickte und trank einen Schluck.
    »Mein Gott.« Hank strich sich mit einer
Hand über die dichten Locken.
    »Über Anne-Marie hast du gesagt: ›Scheiß
drauf.‹«
    »Ach ja, langsam erinnere ich mich.« Er
nahm einen kräftigen Schluck Scotch.
    »Möchtest du jetzt mit mir darüber
reden?«
    Er schwieg und drehte das Glas zwischen
den Handflächen. Die Platte der Bar war naß von vielen früheren Drinks.
    »Monatelang habe ich jede Frage
vermieden«, setzte ich hinzu, »weil ich hoffte, die Dinge würden sich wieder
einrenken, oder einer von euch beiden würde von sich aus mit mir reden. Aber
jetzt kann ich nicht länger an mich halten.«
    »Warum fragst du nicht sie? Ich bin
sicher, sie liefert dir gern alle Erklärungen, die du willst.«
    »Das habe ich auch vor, aber jetzt
möchte ich deine Version hören.«
    »Warum?«
    »Weil du mein Freund bist, verdammt
noch mal! Seit den guten alten Tagen in Berkeley. Was, zum Teufel, ist los mit
dir, daß du dich von einer solchen Freundschaft abwendest?« Meine Stimme war
lauter geworden. Die Leute zwei Hocker weiter sahen mich an und wandten dann
schnell den Blick wieder ab.
    Hank sagte: »Shar, ich kann einfach
nicht darüber reden.«
    »Du hast mit Jack gesprochen. Er hat
mir kurz erzählte, was bei ihm seit letztem Herbst gelaufen ist.«
    »Das ist etwas anderes. Jack hat es
eben selber durchgemacht.«
    »Und du glaubst, ich nicht? Nur weil
Don und ich nicht verheiratet waren — «
    »Ach Shar, das weiß ich doch. Aber du
kannst mit so etwas umgehen. Du hast dich... im Griff.«
    Seine Worte lösten ein Déjà-vu-Gefühl
in mir aus. Mein älterer Bruder John hatte mir einmal gleich nach seiner
Scheidung gesagt, ich könne nicht verstehen, was er durchmache, weil ich ein
Mensch sei, der »auf Sicherheit geht«. Damals hatte ich mich gefragt, ob ich
meinen Mitmenschen tatsächlich eine so kühle, starre Fassade zeigte. Und jetzt
fragte ich mich das wieder.
    »Ja«, sagte ich, »ich habe mich im
Griff. Das ist auch der Grund, weshalb ich Monate brauchte, um mit Don Schluß
zu machen — Monate, in denen ich zuviel getrunken und mich über jede
Kleinigkeit mächtig aufgeregt habe, nur um mich nicht mit den wesentlichen
Dingen auseinandersetzen zu müssen. Das ist auch der Grund, aus dem ich mich
eingeigelt habe und seitdem jede Beziehung gemieden habe.« Bis gestern nacht.
    Hank musterte mich durch seine
verschmierten Brillengläser. »Davon habe ich nichts geahnt.«
    »Ich kann eben meine Gefühle besser
verstecken als du. Erzähl, Hank.«
    Er trank seinen Scotch aus — ich nahm
an, um sich Mut zu machen — und sagte dann: »Es läuft am Ende alles auf eines
hinaus: Ich kann mit Anne-Marie nicht leben. Sie braucht Ordnung, ich schaffe
Chaos. Ich hasse Hausarbeit, artige Unterhaltungen und sonntags zum Brunch
auszugehen. Mir ist es egal, wenn die Wohnung runterkommt, ich möchte nur meine
alten Freunde um mich haben, ihnen einen Topf selbstgekochtes Chili vorsetzen
und am Wochenende bis mittags schlafen. Wir sind einfach zu verschieden. Ich
hätte das vorher merken müssen und sie nie heiraten dürfen.«
    »Liebst du sie noch?«
    »Ja.«
    »Liebt sie dich noch?«
    »Wenn sie das nach dem Silvesterabend
noch tut, gehört sie in eine Anstalt.«
    »Was ist passiert — abgesehen davon,
daß du ohne sie zur All-Souls-Party gegangen bist?«
    Er machte Brian ein Zeichen, daß er
noch einen Drink wollte. Brian sah ihn zweifelnd an, goß aber ein, als ich

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