Mord ohne Leiche
ihm
zunickte.
»Okay«, sagte Hank, als das Glas vor
ihm stand. »Das ist passiert: Anne-Marie hatte die Andersons — wir haben ihnen
die Wohnung über uns vermietet — zum Dinner eingeladen. Ich wollte zu All
Souls, wo wir bisher immer Silvester gefeiert haben, also ging ich. Doch dann
konnte ich die Leute nicht ertragen und hab in meinem Büro getrunken.«
»Erinnerst du dich, daß ich zu dir
hereinkam und mit dir redete?«
»Oh, ja. Ich erinnere mich jetzt
ziemlich genau. Ich trinke nicht so viel, daß ich einen Blackout bekomme. Ich
erinnere mich auch noch an den Rest des Abends. In allen gräßlichen
Einzelheiten.«
»Und weiter?«
»Ich habe Schluß gemacht und bin kurz
nach Mitternacht heimgefahren. Mit dem Taxi — so saublöd bin ich auch wieder
nicht, daß ich in dem Zustand selber fahre. Die Andersons waren noch da.
Anne-Marie hatte diesen unterkühlten Blick, den sie bekommt, wenn sie
stocksauer ist, aber versucht zivilisiert zu bleiben. Ich hatte gehofft, daß
sie schon weg wären damit wir miteinander reden könnten. Ich mußte sie nur
sehen... Willst du wirklich wissen, was für ein widerlicher Rüpel ich bin?«
»Hin und wieder benehmen wir uns alle
mal ausgesprochen rüpelhaft.«
»Aber die einen mehr als die anderen.
Also, ich hab losgelegt und sie angeschrien, wie sie ›solche Leute‹ in unsere
Wohnung holen könne. Ich hab gesagt, ich hätte einfach die Nase voll von ihnen,
sei es leid, sie über ihre Autotelefone und Computer, ihr Feriendomizil mit
Blick auf irgendeinen Golfplatz und ihre dämlichen, langweiligen Jobs an der
Montgomery Street reden zu hören.«
»Oh, Gott!«
»Es kommt noch schlimmer. Dann fing sie nämlich an, zurückzuschreien. Sie habe die beiden nur deswegen zum Dinner
eingeladen, um nicht den ganzen Abend mit mir streiten zu müssen. Sie habe die
beiden nur hergebeten, damit wir nicht zur All-Souls-Party gehen, uns dort
betrinken und vor den Augen unserer wirklichen Freunde anschreien
mußten. Sie fände Autotelefone, Computer, Ferienhäuser und die Montgomery
Street genauso langweilig, und außerdem grapschte Bob — so heißt der Mann — ihr
ständig an den Arsch. Zu dem Zeitpunkt waren die Andersons schon auf dem Weg
zur Tür.«
Hank sah erbärmlich aus. Ich dagegen
fühlte eine Woge der Erleichterung in mir aufsteigen. Seit Monaten hatte
Anne-Marie mich gemieden, meine Anrufe nicht beantwortet. Nachdem, was ich über
ihr Verhalten gehört hatte, hatte ich befürchtet, aus meiner Freundin sei jemand
anderes geworden, den ich lieber nicht kennen wollte. Doch ihr
Silvesterausbruch in Gegenwart der schrecklichen Andersons bewies mir, daß es
die aufrichtige, unprätentiöse Anne-Marie noch immer gab.
»Jedenfalls mußt du dir keine Sorgen
mehr machen, daß die noch einmal zum Dinner zu euch kommen.«
»Es kommt noch schlimmer.«
»Geht das überhaupt?«
»Danach kamen wir nämlich wirklich zur Sache. Ich bin sicher, die Andersons saßen über uns mit dem Ohr am Boden,
aber das wäre gar nicht notwendig gewesen. Ich hab ihr entgegengeschleudert,
ich könne ihren Lebensstil nicht ertragen. Sie hat geantwortet, ich sei ein
fieser Trottel mit dem gesellschaftlichen Charme des letzten Rindviehs.
Schließlich hat sie gesagt, mein Chili sei schauderhaft.« Hank stemmte sich empört
an der Bar hoch. Mit einem Ellbogen rutschte er ab, und ich mußte ihn abfangen.
Nur mit Mühe hatte ich mir das Lachen,
das in mir aufstieg, verkniffen. Jetzt platzte es heraus. Je mehr ich lachte,
desto gekränkter schaute Hank drein, und dieser Gesichtsausdruck wiederum gab
meiner Heiterkeit neue Nahrung. Schließlich wischte ich mir die Tränen aus den
Augen und japste: »Hank, über die anderen Dinge kann ich nichts sagen, aber in
einem hat sie recht — dein Chili ist furchtbar !«
»...Du hast es aber immer gegessen.«
»Wegen der netten Gesellschaft.«
Er dachte einen Augenblick lang nach.
»Auch Anne-Marie hat es immer gegessen. Vermutlich ist meine Gesellschaft nicht
mehr so nett.«
»Derzeit vielleicht nicht.«
Er kippte den neuen Drink zur Hälfte
hinunter und sagte: »Willst du den Rest der Geschichte hören?«
»Sie geht noch weiter?«
»Und wird immer noch schlimmer.
Anne-Marie ist aus dem Zimmer gestampft und hat sich im Schlafzimmer
eingeschlossen. Danach hab ich mich übergeben und bin im Badezimmer umgekippt,
lag da irgendwie um die Toilette drapiert. Am Morgen steckte ein Umschlag von
den Andersons unter der Tür. Sie haben mit einer Frist von einem
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