Mord und Brand
Jahren Joseph Maria Nechyba zu sitzen pflegte. Seit damals nannte Aurelia den wackeligen Sessel ›Besucherloge‹.
»Was bekommen wir denn heute Gutes zum Essen, Frau Aurelia?«
»Ein Hühner-Poupeton von Reis.«
»Poupeton? Poupeton von Reis? Das haben Sie aber schon sehr lange nicht mehr gemacht. Übrigens: Bei Brillat-Savarin habe ich unlängst von einem Poupeton gelesen…«
Aurelia schmunzelte:
»Du liest die ›Physiologie des Geschmacks‹? Hast du dir das von deinem Herrn Papa ausgeborgt?«
»Ich hab’s mir einfach aus seinem Bücherschrank genommen. Weil, wenn ich ihn darum gebeten hätte, hätte er mir geantwortet, dass ich meine Nase lieber in juristische Bücher und in meine Skripten stecken soll…«
»Womit er ja nicht unrecht hat…«
Alphonses Miene verdüsterte sich. Er machte ein Schnoferl 41 und raunzte:
»Aber, Frau Aurelia! Sie wissen doch, dass ich für die ganze Juristerei nix übrig habe. Das studier’ ich doch nur, weil der Papa es wünscht…«
»Und? Was macht deine große Liebe? Die Schauspielerei?«
Alphonse begann zu strahlen und auf dem wackeligen Sessel so temperamentvoll hin und her zu rutschen, dass dieser bedenklich krachte.
»Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Aber Sie müssen mir versprechen, es niemandem, wirklich niemandem zu sagen…«
»Alphonse… Du weißt doch, dass ich nix weitererzähl’.«
Er wandte sich an Gerti und forderte sie auf:
»Und du, du musst mir schwören, dass du den Mund hältst!«
Gerti bekam rote Ohren, hob zwei Finger in die Höhe und murmelte feierlich:
»Ich schwör’s, Herr Alphonse, ich schwör’s…«
Alphonse Schmerda beugte sich vor und sagte mit leuchtenden Augen:
»Gestern Abend hab ich meine erste Statistenrolle im Theater an der Wien ergattert. Bei der übernächsten Premiere bin ich schon dabei!«
Aurelia Nechyba, die gerade die Vorspeise, eine Kohlrübensuppe, zubereitete, hielt erstaunt in ihrer Arbeit inne:
»Aber hat dir das denn dein Herr Papa erlaubt?«
Alphonse Schmerdas Begeisterung war augenblicklich verschwunden. Mit düsterer Miene antwortete er:
»Der Herr Papa, der Herr Papa… Natürlich weiß der nix davon. Und er darf es auch nicht erfahren…«
Die Köchin wischte sich die Hände an der Schürze ab, trat zu dem jungen Mann hin und streichelte ihm mütterlich übers Haar:
»Weiß es wenigstens deine Frau Mama?«
»Geh! Die hat doch dauernd Kopfschmerzen und melancholische Zustände. Wenn ich ihr das erzähl’, wird sie vollkommen trübsinnig. Übrigens: Ich war vorher bei ihr. Sie hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass die Gerti bei Gelegenheit in ihr Zimmer kommen und dort aufräumen soll. Sie wird heute im Bett bleiben. Ihr ist nicht wohl…«
Aurelia seufzte und schickte Gerti ins Zimmer der Gnädigen Frau. Als sie mit Alphonse allein war, fragte sie ihn:
»Hast du keine Angst, dass dich Bekannte oder Verwandte im Theater sehen? Wenn die das deinem Vater erzählen, schlägt er dich tot…«
Und während sie in einer Kasserolle Butter zerließ, die Hühnerstücke samt den Lebern aus der Speisekammer holte, sie dazugab, kurz anröstete und dann mit etwas Gemüsesuppe aufgoss, haderte Alphonse mit seinem Schicksal, das ihm so einen Vater beschert hatte. Die Köchin gab nun die Champignons in die Kasserolle dazu und ließ alles zusammen weich dünsten. Danach fischte sie Fleisch und Pilze heraus und stellte beides warm. Den Saft aber entfettete sie und machte mit diesem Fett und mit einem Esslöffel Mehl eine Einbrenn 42 . Die goss sie unter ständigem Rühren mit dem Saft auf und würzte mit Pfeffer, Muskatnuss und Zitronensaft. Danach legierte sie die Sauce noch mit zwei Eidottern und gab das Hühnerfleisch und die Champignons dazu. Aus dem mittlerweile fertig gekochten Reis formte sie auf einer feuerfesten Platte einen circa 2 cm dicken und 6 cm hohen Reisring. In dessen Mitte füllte sie nun die Sauce mit den Hühnerstücken und den Champignons. Diese Fülle wurde mit einer circa 1 cm dicken Reisschicht bedeckt. Den Reis glättete sie mit einer in zerschlagenes Ei getauchten, flachen Messerklinge, sodass die Reishülle eine schöne Tortenform bekam. Diesen Poupeton bestreute sie nun mit einem Parmesan-Brösel-Gemisch und schob ihn in das heiße Backrohr, um die Oberfläche knusprig zu backen. Als sie noch einige Holzscheite nachlegte, trat Alphonse neben sie und starrte in die Flammen.
»Am liebsten würde ich das Haus hier mitsamt meinem Vater anzünden und lichterloh abbrennen!
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