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Mord und Brand

Mord und Brand

Titel: Mord und Brand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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am Wiener Westbahnhof an. Schwer krank ist er und bettlägrig. Deshalb hat seine Familie den Polizeipräsidenten gebeten, dass wir Leute abstellen und den Herrn Direktor abschirmen. Ich hab schon mit dem zuständigen Kommissariat und dem dortigen Leiter, dem Oberkommissär Spielvogel, geredet. Der wird das in die Hand nehmen. Trotzdem möchte ich jemanden von unseren Leuten dabei haben. Und da hab’ ich an dich gedacht…«
    Nechyba war das gar nicht recht. Er wollte sich lieber voll auf den Fall Oprschalek konzentrieren und heute Nachmittag persönlich einige Lokale und Hotels im 3. Bezirk abklappern. Raunzend sagte er:
    »Geh, musst du mir das wirklich antun?«
    »Joseph, das muss sein. Wenn irgendwas passiert, hab ich den Scherm 80 auf. Deshalb möchte ich, dass du dort anwesend bist. Weil, erstens bin ich dann beruhigt. Und zweitens: Wenn was passiert, hast du ihn auf… den Scherm.«
     
    Joseph Maria Nechyba überquerte den weiten Platz vor dem Westbahnhof. Das vor rund 50 Jahren errichtete Gebäude sah wie ein langgestreckter Renaissancepalast aus. Er stieg ein paar Stufen empor, durchquerte das Vestibül, in dem eine lebensgroße Marmorstatue der ermordeten Kaiserin Elisabeth stand und trat hinaus zu den überdachten Gleisen, wo gerade dampfend und zischend ein Zug ankam. Es herrschte dichtes Gedränge. Menschen strebten zu den einzelnen Waggons, Dienstmänner warteten auf Kundschaft, Gepäckträger bahnten sich ihren Weg durch die Menge und Bahnbedienstete eilten geschäftigen Schrittes hin und her. Auf der Anzeigetafel informierte sich Nechyba, wann und auf welchem Gleis der Orientexpress eintreffen würde. Er schob sich durch die Menschenansammlung zu dem noch ziemlich leeren Perron. Nechyba blickte auf die Bahnhofsuhr und sah, dass er eigentlich viel zu früh dran war. Also kehrte er um und lenkte seine Schritte hin zum Bahnhofsrestaurant. Dort fand er ein stilles Platzerl, wo er in Ruhe ein Krügel Bier und ein Paar Frankfurter mit Senf und Kren zu sich nehmen konnte. Nach dem Verzehr dieser Jause strich er zufrieden über seinen Schnauzbart und beobachtete das rege Kommen und Gehen im Lokal. Es fiel ihm eine schlanke, junge Dame auf, die ganz nervös an einem Kracherl 81 nippte und immer wieder zur Tür sah. Sie hatte eine große Reisetasche bei sich und wartete augenscheinlich auf einen Reisebegleiter. Nechyba malte sich in seiner Fantasie aus, dass sie auf einen feschen, jungen Liebhaber wartete, der grundsätzlich zu jedem Rendezvous zu spät kam. Plötzlich huschte ein Strahlen über das Gesicht der Frau. Nechyba blickte Richtung Eingang und war enttäuscht. Ein dicklicher, älterer Herr, der seinen Reisekoffer von einem Dienstmann tragen ließ, kam auf das bezaubernde Wesen zu, küsste ihm galant die Hand und rief den Ober, um das Kracherl zu bezahlen. Dann verschwanden beide, gefolgt von dem Dienstmann, der nun auch ihre Reisetasche trug, in Richtung Bahnsteige. Nechyba seufzte:
    »Doch keine Dame… nur a süßes Mädel 82 …«
    Er rief den Ober, bezahlte und verließ ebenfalls die Lokalität. Der Perron, an dem der Orientexpress ankam, war bereits von zahlreichen wartenden Menschen bevölkert. Nechyba wusste, dass Gustav Mahler sich in einem der letzten Waggons befinden würde. Schnaufend, zischend, Funken und Ruß speiend sowie mit einem ohrenbetäubenden, metallischen Quietschen bremsend, rollte der Orientexpress in den Westbahnhof ein. Nechyba schob seine massige Gestalt durch die Menge und gelangte schließlich hinaus zum nicht überdachten Teil des Bahnsteigs. Auch dort warteten unzählige Menschen. Schließlich sah er eine Gruppe von Sicherheitswachebeamten. Nechyba trat zu dem Leiter der Polizistengruppe und klopfte ihm jovial auf die Schulter:
    »Hawedere 83 , Herr Oberkommissär!«
    »Ah, Kompliment, Herr Inspector. Ich hab’ schon gedacht, Sie kommen nimmer.«
    »Geh! Ich bin eh gerade rechtzeitig gekommen. Also, sperr’ ma den Bahnsteig ab?«
    Oberkommissär Spielvogel nickte und gab seinen Leuten die entsprechenden Anweisungen. Sie stamperten 84 alle Zivilisten fort und bildeten eine Absperrung in Form einer Zweierreihe. Nur eine kleine Gruppe, die aus Gustav Mahlers Familienmitgliedern sowie dem Hofkapellmeister Walter und dem behandelnden Arzt, Professor Rosé, bestand, durfte innerhalb der Absperrung verweilen. Als der Zug stillstand, stieg als Erster Carl Moll, der Schwiegervater Gustav Mahlers, aus. Er begrüßte Professor Rosé und die Familienmitglieder. Dann kam er auf

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