Mord und Brand
sagte er:
»Weißt, das ist ein Freund aus Jugendtagen. Da sind wir immer als Duo aufgetreten. Und irgendein Spaßvogel hat uns damals die Spitznamen Budka & Krupka gegeben. In Wahrheit heißt mein Freund Oprschalek.«
All das erzählte er mit einem charmanten Lächeln, obwohl er am liebsten mit Oprschalek hinter das Gasthaus gegangen wäre und ihn dort erschlagen hätte. Er behielt aber die Contenance und nachdem man miteinander einige Biere getrunken hatte, entwickelte sich eine angeregte Plauderei. Dabei erfuhr er, dass Oprschaleks Begleiter Franz Schottek hieß und als Lohnschreiber auf einem Holzlagerplatz am Nordbahnhof arbeitete. Und plötzlich ärgerte sich Budka nicht mehr so sehr über das unwillkommene Zusammentreffen mit den beiden. Plötzlich hatte er eine Idee, wie und wo er Hubendorfers Leiche entsorgen würde: Mit einem netten Großfeuer auf eben diesem Holzlagerplatz.
XX.
Zischend ergoss sich das kochende Wasser in das Spülbecken. »Pass auf, dass du dich net verbrühst!«, rief Aurelia Nechyba. Doch das hätte sie sich sparen können. Denn schon hörte sie ein klägliches »Au!«, das sie den Kopf schütteln ließ. Wie oft hatte sie der Gerti schon gesagt, dass sie beim Abseihen des Erdäpfelwassers besser aufpassen solle? Aurelia seufzte und nahm zur Kenntnis, dass das wohl das dümmste Dienstmädel war, das sie in ihrer Laufbahn als Köchin je erlebt hatte. Noch einmal seufzte sie, als ihr die kleine Mizzi einfiel, die genau das Gegenteil gewesen war. Erst unlängst hatte sie gemeinsam mit Nechyba an einem Sonntagnachmittag Mizzis Grab besucht. Als sie still davor gestanden waren, hatten sie beide Tränen in den Augen gehabt. Später hatte ihr Mann dann gebrummt, dass es ihn bis heute schwanzte 88 , dass er damals Mizzis Mörder nicht verhaften konnte 89 . Sie schreckte aus ihren trüben Gedanken auf, als sie neuerlich einen Schmerzensschrei hörte. Gerti hatte sich beim Erdäpfelschälen in den Daumen geschnitten. Aurelia nahm dem an ihrem Daumen lutschenden Dienstmädel das Messer aus der Hand und gab ihr eine Ohrfeige.
Gerti fing zu heulen an, was die Köchin noch wütender machte.
»Du bist der patschertste 90 Trampel, der mir je übern Weg g’laufen ist. Hör auf mit der Daumenlutscherei, lass lieber kaltes Wasser drüberrinnen! Dann nimmst den Alaunstein, der neben dem Messerblock liegt und streichst damit über die Wunde. Das stillt die Blutung. Im Kastl rechts oben sind alte Tücher. Da reißt du dir eines auseinander und machst dir einen Verband. Schau net so langsam! Gemma! Mach weiter!« Und während Gerti ihren Anweisungen folgte, setzte sich die Köchin hin und schälte die Erdäpfel selber. Die Schalen ließ sie auf eine mehrere Tage alte Ausgabe der ›Neuen Freien Presse‹ fallen. Dabei sah sie den Leitartikel der am Tag vor den Reichstagswahlen erschienenen Zeitung. Mein Gott, am Dienstag hatte ja die Stichwahl stattgefunden! Nechyba war auch wählen gegangen. Eine steile Falte des Unmutes bildete sich auf ihrer Stirne. Dass ihr Mann sowohl beim ersten Wahldurchgang als auch bei der Stichwahl für die Sozialdemokraten gestimmt hatte, war ihr ein Dorn im Auge. Andererseits wusste sie, dass ihr Mann Lueger und dessen Christlichsoziale Partei mit aller Entschiedenheit ablehnte. Deren fremdenfeindliche und antisemitische Agitationen waren ihm seit jeher zuwider. Auch die Parteibuchwirtschaft und die Korruption, die in Wien während Luegers Amtszeit als Bürgermeister um sich gegriffen hatte, missbilligte er. Was er ihr da manchmal für Geschichten erzählte… Und unter Luegers Nachfolger Josef Neumayer hatte sich nichts geändert. Im Gegenteil: Das alte Sprichwort, dass nie etwas Besseres nachkomme, hatte sich wieder einmal bewahrheitet. Plötzlich sprang ihr ein Absatz aus dem Leitartikel der unter den Erdäpfelschalen halb verborgenen Zeitung ins Auge:
Wähler von Wien und Niederösterreich! Ihr seid lange getäuscht worden. Die Christlichsozialen haben die Stadt, das Land und das Reich umgarnt, das deutsche Volk zum Gespött von Europa gemacht, die Würde dieses Staates herabgedrückt, die Entwicklung verhindert, das geistige und materielle Leben durch Gehässigkeit, Einschüchterung und Bedrängnis verödet. Wähler von Wien und Niederösterreich! Wenn es gelingen sollte, das christlichsoziale Joch vom Nacken abzuwerfen, so wird es besser werden in Wien und in ganz Oesterreich!
Aurelia Nechyba seufzte. Das alles war nicht unrichtig. Trotzdem hätte sie als
Weitere Kostenlose Bücher