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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Heck, aparte Zierleisten, Dachrandverglasung. Ausführung in Stahlblech und Kevlar …«
    Rudolf schien einen Moment lang unentschlossen, dann ließ er den Wagen stehen und kam auf das Hauptgebäude zu.
    Gut, dachte Hilde, um die Autowäsche soll sich Pfeffer kümmern, sobald er zurück ist. Rudolf hat Wichtigeres zu tun – die Anrufe seiner Klientel entgegenzunehmen beispielsweise.
    Sie nahm ihre Handtasche, begab sich hinaus, sagte kurz angebunden: »Lore ist gerade eben weggefahren, und ich gehe jetzt auch«, ließ Rudolf sichtlich verdattert stehen und machte sich auf den Weg zum Haus des Bürgermeisters.
    »Die Hilde«, quiekte Anna Kaltenbach in ihrem Bett. »Und immer noch dürr wie ein Zaunpfahl. Da wird das ja nie was mit dem Stimmvolumen, Kind.«
    »Wie geht es Ihnen, Frau Kaltenbach?«, fragte Hilde, ohne etwas auf deren Begrüßung zu erwidern.
    »Lang dauert’s nicht mehr, meint Dr. Stenglich, dann hab ich’s überstanden«, antwortete die ehemalige Lehrerin. »Das Herz, die Lunge, du weißt schon …« Sie lächelte matt. »Das ist aber schön, dass du extra hergekommen bist. Viel Gesellschaft hat man nämlich nicht mehr, wenn man bloß noch eine Last ist für die anderen.«
    Hilde tätschelte ihr die Hand. »Ihre Schwiegertochter sagt, dass jeden Tag Besuch für Sie kommt.«
    »Hildchen«, entgegnete Anna Kaltenbach, »du hast wohl in meinem Unterricht nicht genug aufgepasst. Faktoren muss man immer in Bezug zueinander setzen. Was meinst du, wie lang ein Besucher sitzen bleibt, da an meinem Bett?« Sie wedelte kraftlos mit der Hand. »Ein halbes Stündchen höchstens. Und wie viele Stunden hat ein Tag? Richtig, vierundzwanzig. Den Prozentsatz kannst du ja als Hausaufgabe ausrechnen.« Sie schloss die Augen und atmete schwer.
    Hilde wollte ihr eine Weile Ruhe gönnen und schwieg, doch Anna Kaltenbach sprach bereits weiter: »Der Einzige, der es ganze Nachmittage bei mir ausgehalten hat, ist mir diese Woche weggestorben.«
    Hilde brauchte einige Zeit, bis sie dahinterkam, wen Anna Kaltenbach meinte. »Der Dichter?«
    »Ja, der Hermann«, sagte die alte Frau nickend, »der kleine Lanz, der sich in der zweiten Klasse so schwer tat mit dem Lesen und Schreiben, dass ich mich damals gefragt habe, ob er nicht ein Fall für die Sonderschule wäre. Wer hätte gedacht, dass er eines Tages Gedichte verfassen würde? Wer hätte gedacht, dass er mir sie stundenlang vorlesen würde?«
    »Seine Gedichte?«, fragte Hilde ungläubig.
    »Seine Gedichte«, bestätigte Anna Kaltenbach.
    Hilde fiel ein, wie Thekla bei jeder Gelegenheit die Lanz’schen Machwerke mit Inbrunst verriss, und das veranlasste sie, sich zu erkundigen: »Sie scheinen seine Verse ja sehr gemocht zu haben, Frau Kaltenbach.«
    Um den Mund der alten Lehrerin zuckte wieder ein Lächeln. »Wie heißt es so schön: ›Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.‹ Der Hermann hat vorgelesen, und ich habe dankbar seiner Stimme gelauscht.«
    »Haben Sie seine Dichtungen nie kritisiert?«, fragte Hilde.
    »Nur in Gedanken«, antwortete Anna Kaltenbach. »Glaubst du etwa, der Hermann wäre noch mal aufgekreuzt, wenn ich ihm klargelegt hätte, was für einen Unsinn er verzapft?« Sie schaute gequält an die Decke. »Am schlimmsten waren seine Mundartgedichte. ›D’ Natur, die schreit, hört ihr’s, liabe Leit? ’s wird allerhöchste Zeit …‹ – Jesus, was für eine Reimerei.«
    »Seine Gedichte sind sehr beliebt«, wandte Hilde ein.
    »Was ist nicht alles beliebt bei den Leuten«, konterte Anna Kaltenbach. »Hansi Hinterseer, Karl Moik, fetter Schweinebraten, übersüße Schmalzkring–« Sie konnte nicht mehr weitersprechen, rang um Luft.
    Hilde saß stumm an ihrem Bett.
    Etliche Minuten verstrichen, bis die ehemalige Lehrerin wieder ein wenig ruhiger atmete. Als sich ihre Brust nicht mehr so krampfartig hob und senkte, öffnete Hilde ihre Handtasche und nahm ein kleines Döschen heraus. »Ich habe Ihnen Ringelblumensalbe mitgebracht, Frau Kaltenbach. Wenn Sie möchten, creme ich Ihnen die Beine damit ein. Ringelblume wirkt gegen Schwellungen und Entzündungen, kühlt und beruhigt.«
    Die alte Frau sah sie erfreut an. »Das ist aber lieb von dir, Hildchen. Wenn ich dieser Tage dem Herrgott begegne, lege ich ein gutes Wort für dich ein.« Sie blinzelte. »Zänkisches Mundwerk hin oder her – ja, ja, ich habe deine Widerborstigkeit nicht vergessen –, was du heute für mich tust, muss er dir hoch anrechnen.«
    Hilde spürte, wie ihr die

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