Mord und Mandelbaiser
als dass Wally Maibier die Krönners herausgefordert und sie geschlagen habe.
»Zerbröseltes Mandelbaiser und Mokkabuttercreme abwechselnd aufeinandergeschichtet und gut aneinander festgedrückt«, sagte sie laut. »Das ist die ganze Zauberei. Das muss die ganze Zauberei sein. Habe ich die Krönner’sche Spezialität nicht schon oft genug mit der Zunge zerdrückt und dabei ihre sämtlichen Bestandteile geprüft?«
Wally hatte das Mandelbaiser bereits gebacken und zum Erkalten ans Fenster gestellt. Sie hatte einen Pudding aus Milch, Mondamin, Zucker und einer Tasse Espresso gekocht und wollte soeben kontrollieren, ob er schon so weit abgekühlt war, dass sie ihn portionsweise in die geschlagene Butter rühren konnte, als die Küchentür aufflog und mit Schwung gegen den Kühlschrank knallte.
»Bist du taub? Die Alte schreit sich in ihrem Zimmer die Seele aus dem Leib.« Wallys Mann querte mit zwei Schritten den Raum und riss das Radiokabel aus der Steckdose. »Schau gefälligst nach, was sie will. Die paar Stunden, in denen keine Pflegekraft im Haus ist, wirst du dich ja wohl noch selbst um deine Mutter kümmern können.«
Wally ließ den Löffel im Pudding stecken, rannte aus der Küche und den Flur hinunter.
Aus dem Zimmer ihrer Mutter drang kein Laut. Leise öffnete Wally die Tür und trat ein.
»Hast du gerufen, Mama?«, flüsterte sie und fuhr im nächsten Augenblick erschrocken zusammen, weil ihr Mann hinter ihr polterte: »Die Alte hat geschrien wie am Spieß.«
Wally beugte sich über das Bett, nahm die Hand ihrer Mutter in die ihre und fragte sanft: »Hast du Schmerzen?«
»Durst«, erwiderte die Greisin mit krächzender Stimme.
Wally wollte gerade nach der Wasserkaraffe auf dem Nachttisch greifen, da bekam sie eine kleine, etwas altertümliche Limonadenflasche in die Hand gedrückt.
»Nimm das da«, sagte ihr Mann. »Schmeckt bedeutend besser als abgestandenes Wasser, du solltest es selbst mal probieren.«
Wally sah die Flasche unschlüssig an. Als aber ihr Mann drängte: »Nun mach schon«, beeilte sie sich, ein Glas mit der gelblichen Flüssigkeit aus der Flasche zu füllen. Dann ließ sie ihre Mutter davon trinken.
»Mehr«, verlangte die.
»Schmeckt es denn gar so gut?«, fragte Wally lächelnd.
»Süß, zuckersüß«, antwortete ihre Mutter schwach, aber unmissverständlich schwärmerisch.
Wally schenkte erneut aus der Flasche ein, und ihre Mutter trank gierig.
Hinter sich hörte Wally ihren Mann knurren. »Jetzt muss ich mich auch noch um die Bedürfnisse der Alten kümmern, weil meine Frau absolut zu allem zu blöd ist. Absolut zu allem.« Damit eilte er mit hallenden Schritten davon.
Im Laufe der nächsten Viertelstunde trank Wallys Mutter den gesamten Inhalt der Flasche. Als sie zufrieden in die Kissen zurücksank, streichelte Wally ihre Hände, bis sie spürte, dass sie eingeschlafen war.
Dann kehrte sie in die Küche zurück.
Dort saß ihr ältester Sohn am Tisch und kratzte gerade den letzten Rest des Puddings aus der Schüssel.
Er grinste sie an. »Nicht übel, die Pampe. Vor allem, wenn man sich was von dem bröseligen Zeug hineinmischt, das dort drüben auf dem Fensterbrett stand.« Er warf den Löffel neben die leere Schüssel auf die Tischplatte, stand auf und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.
Wally ließ sich auf den Stuhl fallen, den ihr Sohn zurückgeschoben hatte. Verzagt fragte sie sich, was sie jetzt noch zustande bringen sollte. Die Butter für die Creme war schon aufgeschlagen, aber es war kein Pudding mehr da. Selbst wenn sie gleich jetzt neuen kochen würde, wäre er frühestens um Mitternacht kühl genug, um weiterverarbeitet werden zu können. Außerdem fehlte gut ein Drittel des Mandelbaisers.
Das, dachte Wally, könnte ich allerdings damit ausgleichen, dass ich weniger Creme verwende. Dann wird die Torte halt ein bisschen kleiner.
Sie wollte sich gerade an die Arbeit machen, da fiel ihr wieder ein, dass sie ohne den Pudding ja nicht einmal einen Bruchteil der Creme anrühren konnte.
Resigniert stellte sie die aufgeschlagene Butter in den Kühlschrank. Das Mandelbaiser brach sie in Stücke und füllte sie in eine Blechdose, die sie im Vorratsschrank aufbewahrte. Dann begann sie, die Küche aufzuräumen.
Bevor sie zu Bett ging, öffnete sie noch mal die Tür zum Zimmer ihrer Mutter und lauschte hinein.
Mucksmäuschenstill war es da drinnen. Kein Röcheln, kein Keuchen, gar nichts.
Hätte Wally gründlich nachgedacht, dann wäre ihr vielleicht
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