Mord und Mandelbaiser
sehr ausgeprägt zeigte.
Friesing hatte während des gesamten Gesprächs davon abgesehen, Fragen zu stellen, weswegen Thekla annahm, dass er sich genug zusammenreimen konnte, um einen Gewissenskonflikt zu fürchten, falls er mehr über ihre Beweggründe erfuhr.
Auf dem Heimweg hatte sich Thekla bereits Hildes Reaktion auf die Neuigkeit ausgemalt, die sie ihr sogleich telefonisch mitteilen wollte, als ihr einfiel, dass Hilde mit den Deggendorfer Senioren in die österreichische Hauptstadt unterwegs war. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, Wally anzurufen, verwarf ihn aber gleich wieder, weil sie sich denken konnte, wie Hilde reagieren würde, wenn man sie außen vor ließ.
Zu Hause hatte Martin bereits den Tisch fürs gemeinsame Abendessen gedeckt, den Rotwein eingeschenkt und den von Thekla vorbereiteten Salat aus dem Kühlschrank genommen. Sie musste nur noch das Backrohr abstellen und die Lasagne auftischen, die sie während ihres Besuchs bei Friesing warm gehalten hatte.
»An der Pinnwand hängt ein Zettel, auf dem ›Holz Blasen‹ steht«, hatte Martin gesagt und ihr über den Rand seiner Brille hinweg einen besorgten Blick zugeworfen. »Haben wir ein Problem mit der Außenverkleidung?«
Thekla hatte den Kopf geschüttelt. »Das soll ›Holzer-Blasen‹ heißen. Schon mal davon gehört?«
Nun war es an Martin gewesen zu verneinen – wie Thekla es sich gedacht hatte.
»Hallo«, sagte Thekla, als Hilde und Wally an den Tisch traten, wofür sie von Hilde einen strafenden Blick erntete, den sie jedoch nicht beachtete, weil sich ihr Augenmerk bereits Wally zugewandt hatte.
Die Arme sieht ja bedauernswert aus, dachte sie und entschied, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, was die Neuigkeit hinsichtlich jener Flecken betraf, die als Holzer-Blasen identifiziert worden waren. Im Moment schien es ihr vorrangig, Wally Trost zuzusprechen.
Thekla hatte am Samstag erfahren, dass Wallys Mutter verstorben war, und hatte am Montag an der Beerdigung teilgenommen, wo sie Wally jedoch nur von ferne sah. Beileidsbezeigungen am Grab waren heutzutage nicht mehr üblich.
»Wie immer, Frau Stein?«, fragte Elisabeth.
»Wie immer«, antwortete Thekla.
»Milchkaffee, Agnes-Bernauer-Torte«, vergewisserte sich Elisabeth.
»Milchkaffee, Agnes-Bernauer-Torte«, bestätigte Thekla.
Hilde bestellte »Toast Rimini«.
»Und Sie, Frau Maibier?«, fragte Elisabeth.
Wally rutschte auf ihrem Stuhl herum und antwortete nicht.
»Eine Zitronenschnitte vielleicht?«, schlug Elisabeth vor. »Oder lieber Maulwurftorte mit flockiger Bananencreme gefüllt?«
Wally nickte zerstreut.
Elisabeth schaute hilfesuchend von Hilde zu Thekla.
»Am besten«, sagte Thekla, »bringen Sie Wally etwas mit viel Schokolade und Kakao drin.«
»Sachertorte?«, bot Elisabeth an.
»Sachertorte«, bestätigte Thekla an Wallys Stelle und lächelte Elisabeth zu.
Die eilte geschäftig davon.
Thekla wandte sich an Wally. »Wie lange war deine Mutter bettlägerig? Drei Jahre? Vier? Hast du nicht selbst neulich gesagt, dass man nicht so lange Zeit so daliegen müssen sollte?«
Wally antwortete nicht, ihr Mund öffnete sich zwar, klappte aber stumm wieder zu.
»Wem es bestimmt ist, der hat abzutreten«, sagte Hilde hölzern. »Der Tod lässt nicht mit sich feilschen. Nicht über das Wie, nicht über das Wann.«
Einer ihrer Standardsätze, vermutete Thekla. Nicht gerade dazu angetan, trauernde Angehörige zu trösten. Hilde wirkte ohnehin etwas mürrisch. Thekla nahm an, dass es an ihr fraß, wie das Bestattungsinstitut Westhöll übergangen worden war. Der Moosbacher hatte Rudolf ein wirklich gutes Geschäft vor der Nase weggeschnappt, denn Maibier hatte sich nicht lumpen lassen. Der Trauerzug war lang gewesen, weil Wallys Ehemann, Inhaber der Tischlerei Maibier, Geschäftsbeziehungen im ganzen Landkreis und weit darüber hinaus unterhielt. Der Sarg hatte teuer ausgesehen, der Blumenschmuck war üppig gewesen, und sogar ein Streichquartett war aufgeboten worden.
Hilde wird es Wally doch nicht ankreiden wollen, dass der Moosbacher zum Zug kam?, dachte Thekla. Sie weiß ja ganz genau, dass Wally in der Familie Maibier nichts zu sagen hat. Womöglich hat Wally Rudolf als Bestatter sogar vorgeschlagen und ihn genau damit aus dem Rennen geschickt. Maibier war tatsächlich zuzutrauen, dass er das Gegenteil von dem machte, was Wally gewollt hätte, um sie noch mehr zu tyrannisieren und zu demütigen. Wie auch immer, Hilde trug eine gekränkte Miene zur
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