Mord und Mandelbaiser
Veranda führte.
Sie beabsichtigte, einfach an die Terrassentür zu klopfen, die, wie von Weitem zu erkennen war, noch offen stand, denn damit ersparte sie es sich, ums halbe Haus herum zur Vordertür zu laufen, wo sich die Klingel befand.
Als sie sich gerade an dem bronzefarbenen Delphin vorbeizwängte und die Hand bereits erhoben hatte, um sich bemerkbar zu machen, hörte sie drinnen jemanden den Namen ihres Mannes nennen. Wally zuckte zurück. Himmelmutter, was geht denn da vor? Sie versuchte, weitere Worte zu verstehen, was unmöglich war, weil es in ihrem Kopf plötzlich pochte und rauschte wie in einem Autobahntunnel. Erst nach einigen Minuten ebbte das Geräusch ab, sodass sie mithören konnte.
»… haben Sie und Ihr verstorbener Mann Birnensaft verschenkt«, sagte eine männliche Stimme, die Wally nicht kannte.
»Ja, natürlich«, antwortete Gerlinde Lanz. »Es handelt sich dabei um eine ganz besondere Köstlichkeit.«
Wally sank auf die Knie und konnte eine Weile nichts anderes denken, als dass sie das Wort »Birnensaft« in ihrem ganzen Leben nicht mehr hören wollte.
Inzwischen setzten Gerlinde Lanz und ihr Besucher ihre Unterhaltung fort. Wally schreckte auf, als der Fremde plötzlich wieder den Namen ihres Mannes nannte.
»Schreinerarbeiten«, sagte der Mann höhnisch. »Maibier ist oft ganze Nachmittage hier gewesen, ohne auch nur einen Nagel mitgebracht zu haben. Und er ist erstaunlicherweise immer nur dann erschienen, wenn Ihr Mann aus dem Haus war, Frau Lanz.«
Die Witwe gab keine Antwort, und der Fremde fuhr fort: »Die Besuche sind allerdings kurz vor dem Tod Ihres Mannes seltener und vor allem kürzer geworden. Haben Sie einen neuen Liebhaber, Frau Lanz?«
Wally rang nach Luft. Sie musste sich an den Delphin klammern, um nicht vornüberzukippen und mit dem Kopf auf dem gefliesten Boden aufzuschlagen.
»Das geht Sie nichts an«, antwortete die Witwe dem Fremden scharf.
»Sie haben recht«, erwiderte der. »Aber vielleicht interessiert sich die Polizei dafür, weshalb Maibier zusammengeschlagen wurde und vor allem von wem.«
»Er hat es nicht wahrhaben wollen, dass unsere Affäre zu Ende ist«, sagte Gerlinde Lanz.
»Da hat Ihr neuer Liebhaber dafür gesorgt, dass Maibier einen Denkzettel bekam«, sagte der Mann. »Hat er ihm das Veilchen selbst verpasst, oder hat er irgendwo ein paar Typen angeheuert, die es für ihn besorgten?«
Wieder schwieg Gerlinde Lanz, und die männliche Stimme fuhr fort: »Hat eventuell der neue Liebhaber nicht nur Maibier aus dem Feld geschlagen, sondern auch Ihren Ehemann umgebracht?«
Wally hörte die Witwe nach Luft schnappen. »Warum sollte er das tun? Hermann und ich hatten schon lange ein Abkommen. Er hat meine Affären toleriert, solange ich diskret vorging und es nicht zu weit trieb.«
»Verstehe«, ließ sich die Männerstimme hören. »Aber Oskar Pfeffer war kein Liebhaber, der sich mit nachmittäglichen Schäferstündchen zufriedengeben wollte. Er hatte Sie fest im Griff, Frau Lanz. So fest, dass Sie ihm samt Haus und Hof und samt der Lebensversicherung Ihres Mannes in den Schoß fallen würden, sobald dieser zu Grabe getragen war.«
Der Name Oskar Pfeffer hatte sich wie ein Pfeil in Wallys Hirn gebohrt. Sie packte die Schwanzflosse des Delphins, zog sich daran hoch und stolperte durch die Verandatür.
»Er hat Thekla in seiner Gewalt. Er will sie umbringen!«, rief sie schwer atmend.
Der Fremde war aufgesprungen und kam ihr entgegen. Und auf einmal erkannte sie ihn. Thekla, Hilde und sie waren eines Mittwochnachmittags vor dem Café Krönner mit ihm zusammengetroffen. An seinen Namen konnte sich Wally zwar nicht erinnern, aber der Mann war ihr damals ruhig, besonnen und sympathisch erschienen.
Doch jetzt bombardierte er sie mit Fragen.
»Was hat der Kerl vor? Wohin will er mit Thekla? Was genau hat er gesagt?«
Wally dachte intensiv darüber nach, und es gelang ihr, beinahe wortgetreu zu wiederholen, was Pfeffer gesagt hatte: »Sie, Frau Stein, werden gemeinsam mit Ihrer Freundin Hilde Westhöll und mir einen kleinen Ausflug ans Wasser machen, von dem Sie aber leider nicht mehr zurückkehren werden.«
Der Mann presste die Fingerkuppen an die Stirn. »An welches Wasser will er sie denn bringen? An den Moosbach?«
»Herr Held«, meldete sich Gerlinde Lanz, wodurch sie Wally endlich auf den Namen brachte, »Oskar ist in letzter Zeit oft zu dem Badesee am Steinbruch gefahren.«
Heinrich Held stürzte bereits zur Tür.
»Ich«, begann
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