Mord und Mandelbaiser
hereinzuspazieren, aber sie ist draußen lange genug von Fenster zu Fenster geschlichen, dass sie sich vermutlich ein höchst aufschlussreiches Bild machen konnte. Anschließend ist sie auch noch nach Moosbach geradelt und hat Martin vorgeflunkert, ich hätte sie geschickt, das für mich bestellte Luminal abzuholen.«
Stimmt, dachte Thekla. Lore kam an diesem Tag von Moosbach her und nicht wie sonst aus der anderen Richtung. Und Hilde hat recht gehabt, Lores Unfall war in Wirklichkeit ein Mordversuch. Sie hatte sterben sollen, weil sie zu viel wusste. Im Gegensatz zu uns hat Lore anscheinend sogar herausbekommen, wo Oskar Pfeffer das Luminal … Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume, als ihr zu Bewusstsein kam, was Pfeffer soeben von sich gegeben hatte: »… nach Moosbach geradelt und Martin vorgeflunkert …«
Thekla machte ein derart verblüfftes Gesicht, dass Pfeffer jetzt lauthals herauslachte. »Wusste ich es doch, dass auf Martin Verlass ist.«
Himmelherrgott noch mal, fluchte Thekla stumm, der Kerl hat die Barbiturate aus unserer Apotheke bezogen. Und ich habe nicht das Geringste davon gemerkt.
Wie auch? Bei ihrem Versuch, Einsicht in die Unterlagen der Apotheke zu nehmen, war sie auf unlösbare Probleme gestoßen. Martin war für Buchhaltung und Bestellungen der Apotheke zuständig, und beides erledigte er mit Hilfe eines Computerprogramms, das für sie ein Buch mit sieben Siegeln war. Frustriert hatte sie ihre Ermittlungen in den Akten der Stein’schen Apotheke abgebrochen. Ein schwerer Fehler, wie sich jetzt herausstellte.
»Jetzt wollen wir aber«, sagte Oskar Pfeffer nun ernst. Ansatzlos versetzte er Thekla einen Schlag gegen die Schläfe und nützte ihre daraus resultierende momentane Orientierungslosigkeit, um sie herumzudrehen und gegen die Wand zu pressen. Im nächsten Moment spürte Thekla, wie ihre Handgelenke im Rücken zusammengebunden wurden. Eigenartigerweise fühlte sich die Fessel so weich und flauschig an, als wäre sie aus Plüsch.
Dann packte Pfeffer sie bei den Schultern und stieß sie vom Nebenraum in die Halle. »Unser erstes Ziel ist der Transporter. Ich muss doch nicht etwa nachhelfen?«
In der Hoffnung, Pfeffers Vorhaben hinauszuzögern, machte Thekla ganz kleine, zaghafte Schritte.
Wie ließe sich bloß noch mehr Zeit gewinnen?
Panik drohte sie zu überrollen. Was zum Henker war aus Wally geworden? War sie unterwegs, um Hilfe zu holen, oder hatte sie sich unter dem Fenster zusammengekauert, unfähig, einen einzigen Schritt zu tun?
Wie auch immer, Zeit zu schinden war Theklas einzige Option.
Sie wandte sich um und schaute zum Durchgang zurück, aus dem einer der Flaschenträger ein Stück weit hervorragte. Der Anblick der Sinalcofläschchen gab ihr eine Frage ein, die Pfeffer vielleicht ablenken und zu weiteren Mitteilungen veranlassen würde.
»Wusste eigentlich Ihr Bruder, wozu sein viel gerühmter Birnensaft missbraucht wurde?«
»Deshalb sitzt er ja im Gefängnis«, antwortete Pfeffer trocken und amüsierte sich daraufhin erneut über Theklas Verblüffung.
»Aber er ist doch wegen Mordes an seiner Frau verurteilt worden«, erwiderte sie verwirrt.
»Unschuldig in diesem Fall.«
»Unschuldig«, wiederholte Thekla verständnislos. »Wieso unschuldig?«
Pfeffer ließ sich tatsächlich zu einer Erklärung herbei.
Meiler, erfuhr Thekla, war irgendwann dahintergekommen, was sein Halbbruder mit einem Teil des Birnensafts anstellte, den er in großen Mengen von ihm bezog.
»Alf hat gezetert, gedroht und gebettelt«, sagte Oskar Pfeffer. »Aber er hat mich weiterbeliefert und kein Wort über die ganze Sache nach außen dringen lassen, weil ich ihm drastisch klargemacht habe, dass es ihm schlecht bekommen würde, nicht zu spuren.«
Aber Meiler hatte eines Abends den Fehler gemacht, seiner Frau Ulrike von Oskars Machenschaften zu erzählen. Als die tags darauf – Alf befand sich in der Garage und reparierte einen Wäschetrockner – Oskar auf den Kopf zusagte, sie würde ihn anzeigen, war ihm sofort klar, dass ihr der Mund ein für alle Mal gestopft werden musste, denn Ulrike war ein anderes Kaliber als sein Halbbruder.
Oskar tat reuig, sagte, er würde sich der Polizei stellen, schenkte ihr und sich Birnensaft ein, wartete auf einen Moment, in dem sie ihm den Rücken zukehrte, und schüttete eine üppige Dosis Luminal in ihr Glas.
Eine halbe Stunde später schlief sie tief. Oskar verstand genug von Elektrotechnik, um seine Schwägerin an einen Stromkreis anschließen
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