Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
fällt mir schwer zu akzeptieren, dass ihr unser Vater und seine Situation vollkommen gleichgültig sind. Was für ein Verrat. Dass Pferde wichtiger sein können als Menschen! Aber vielleicht rufe ich sie an, bevor ich abreise. Schließlich muss ich ihr sagen, wo ich mich aufhalte.«
»Hast du vor zu verreisen?«
»Ich habe vor, diese verdammte Beerdigung hier hinter mich zu bringen. Dann fahre ich zurück zu meinem Haus und meinem Café und kümmere mich um die letzten offenen Fragen. Anschließend fahre ich zu Greg nach Amsterdam. Fanditha ist bereits dort. Ich will sehen, ob nicht doch noch etwas aus uns dreien wird. Ich glaube, dass ich das will. Ob sie das auch wollen, muss ich erst noch herausfinden. Aber ich habe beschlossen, einen Versuch zu machen.«
Anna in Amsterdam. Ein anderes Land, ein anderes Leben. Ihre verbleibende gemeinsame Zeit war knapp bemessen. Sie lief ab.
»Wann hast du diesen Beschluss gefasst?«
»Ich habe es mir bisher nicht eingestehen wollen, aber ich glaube … dass ich nie einen Mann so sehr lieben kann wie Greg. Und ich muss lernen zu akzeptieren, dass meine Tochter … ich meine, ich will alles versuchen, damit wir wieder zueinanderfinden. Außerdem will ich diese ganzen betrüblichen
Ereignisse hinter mir lassen. Ich will zwar nicht vergessen, aber mir selbst vergeben können.«
»Dich trifft keine Schuld, Anna.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Mari antwortete nicht. Sie dachte daran, dass sie bald wieder allein sein würde. Keine Anna. Niemals wieder Fredrik. Nur ein unendliches Meer, Inseln mit steil abfallenden Küsten, grüne Unendlichkeit und eine schwarze Vergangenheit.
»Ich fahre nach Irland«, flüsterte sie. Nach Irland, wiederholte sie innerlich, als seien diese Worte eine Beschwörung. Sie hörte, wie sich Anna bewegte, und konnte die Gedanken ihrer Freundin nachvollziehen. Mari fährt nach Irland, um die Toten zum Leben zu erwecken oder um sich selbst in einem Berg furchtbarer Erinnerungen an einen von Dämonen besessenen Mann zu vergraben. Sie kam der Frage zuvor.
»Du hast selber gesagt, ich müsse David vergessen. Ich müsse endlich akzeptieren, dass er tot ist. Ich wollte damals nicht auf dich hören. Ich bin einfach weggelaufen, erinnerst du dich? Das war in jener Nacht, als ich zum ersten Mal das Fata Morgana besucht und Einblick in Fredriks verbotenes Leben gewonnen hatte. Aber du hast recht. Ich muss vergessen, und zwar jetzt mehr denn je. Ich kann das nur, indem ich wieder dorthin zurückkehre. Seltsamerweise habe ich mich nirgends so zu Hause gefühlt wie dort.«
»Ich hatte nicht das Recht, dich so anzuschreien.«
»Aber in der Sache hattest du recht. Ich habe mit einem Gespenst gelebt. Mit der Inkarnation eines Menschen. Einem Phantomschmerz. Wie sehr mir das geschadet hat, daran wage ich gar nicht zu denken. Aber jetzt muss es endlich ein Ende haben. Alles muss ein Ende haben.«
Annas Stimme klang wie das düstere Echo ihrer eigenen Überlegungen.
»Was hast du dort vor?«
»Ich will unser Restaurant wieder eröffnen. Soweit ich
weiß, sind die Räumlichkeiten noch vorhanden. Offenbar ist der Segelclub wieder dort eingezogen. Aber vielleicht kann ich mich ja bei ihnen einkaufen …«
Sie wollte nicht von Elsa Karlstens Honorar oder Martin Danelius’ Millionen sprechen. Sie wollte nicht darüber diskutieren und nicht daran denken, dass sie sich bald trennen würden. Anna sprach das Unvermeidliche aus.
»Dann trennen sich nach dieser Farce also recht bald unsere Wege?«
»Ich versuche nicht, dir zu entkommen. Und schließlich können wir ja in Verbindung bleiben …«
In Verbindung bleiben. Fredrik hätte über diese klägliche Formulierung gelacht. Ohne dass sie dagegen etwas unternehmen konnte, liefen ihr wieder die verdammten Tränen über die Wangen. Die Musik war verstummt, und sie überlegte sich, welche Alpträume wohl Michelle André heimsuchten.
»Johan hat mich fallen lassen, und ich habe ihn bestraft, indem ich ihm eine Schere in die Hand gerammt habe. Mir kommt es vor, als läge das mehrere Jahre zurück und nicht nur einige Wochen. Diese Strafe hat dazu geführt, dass wir Kleopatras Kamm gegründet haben. Ein Monster. Und hier wurde Fredrik dafür bestraft, dass er sich als Frau verkleidet hat.«
»Wie hat man dich bestraft, als du klein warst?« Annas Frage klang besorgt. Wenig später kroch Anna zu ihr ins Bett und legte ihr einen Arm um die Taille. Sie spürte Annas Brüste, Bauch und Schenkel hinter sich.
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