Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
durchsichtige Bluse gab den Blick auf zwei immer noch feste Brüste frei, und ihr Schmuck, das schwarz-weiße »Ying und Yang«-Zeichen hing tief in ihr Dekolleté. Die Polarität, die eine Einheit schafft. Jetzt schaute sie auf, und Mari sah sich selbst mit Annas Augen. Eine blonde Frau mit Rundungen, die sich schon immer an den falschen Stellen befunden hatten. In schwarzen oder grauen Jacken und Hosen, die dort eng saßen, wo sie nicht zu eng anliegen sollten.
In bequemen Schuhen. Sie wusste, sie hätte mehr aus sich machen können, hätte sie nur gewollt. Sie hatte schöne blonde Haare, ihre Augen besaßen eine ungewöhnliche, fast lila Färbung, und man lobte sie gelegentlich für ihre Haut, die ihren Wangen immer noch eine babyweiche Unschuld verlieh. Aber was würde Veränderung schon für eine Rolle spielen? Verrottetes Holz anzustreichen erforderte literweise Farbe und wiederholte Behandlungen. Da war es schon besser, den Verfall mit dem Äußeren harmonieren zu lassen.
Anna hob ihr Glas und stieß mit Mari an. »Weißt du, dass ich gehofft habe, du würdest einmal zur Schere oder Ähnlichem greifen? Wie lange hast du jetzt eigentlich deine und Johans Arbeit erledigt und außerdem noch große Teile seines Privatlebens organisiert, während dein eigenes brachlag? Wenn du wenigstens irgendwie davon profitiert hättest … aber ich kann verstehen, dass du nie eine Affäre mit ihm hattest. Sex mit einem Mann wie Johan kann man nur als erniedrigende Aufgabe bezeichnen.«
»Anna!«
»Ich sage nur, wie es ist. Und weißt du … das könnte die Chance deines Lebens sein. Was Johan darüber gesagt hat, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, war in der Tat gar nicht so dumm. Er ist ja vielleicht ein Idiot, aber in dieser Hinsicht hat er recht. Die Idee muss nur einfach genug sein. Die meisten Unternehmen bieten Produkte oder Dienstleistungen an, die viel zu kompliziert sind. Die Leute arbeiten, waschen sich, haben Sex und schlafen, richten ihr Nest ein, lachen ein wenig, weinen umso mehr, und dann sterben sie. Das ist im Grunde alles, worum es geht. Finde Dinge, die damit zu tun haben. Löse die Probleme der Leute. Bis dir etwas einfällt, kannst du übrigens bei mir arbeiten. Ich fühle mich in letzter Zeit so rastlos. Ich würde mich gerne wieder der Innenarchitektur widmen. Irgendwas machen, was mehr abwirft.«
Mari spürte, wie ihr der Wein zu Kopf stieg. Sie entspannte
sich und dachte, dass das, was sie getan hatte, unbegreiflich und gleichzeitig vollkommen logisch war. Sie hatte eine Schere genommen, sie hochgehoben und Johan in die Hand gerammt. Und das war ein gutes Gefühl gewesen. Als hätte sie Kontrolle über die Welt und damit über sich selbst.
»Ich glaube fast, ich hätte ihn umbringen können«, sagte sie.
In diesem Augenblick trat Fredrik ein. Er zog die Tür hinter sich zu, schloss ab und strich den Teppich glatt.
»Sprichst du von mir?«, fragte er. »Ich kann auch wieder gehen, wenn du willst? Oder ich kann ihn auch umbringen, wer auch immer er sein mag. Ich bin in der richtigen Stimmung. Als ich meinen Fahrschein für die U-Bahn vorzeigen wollte, sagte der Mann an der Sperre zu mir, ich solle die Streifenkarte auseinanderfalten, damit er sie stempeln kann. Ich hatte in beiden Händen Tüten und versuchte ihm begreiflich zu machen, dass es eine große Hilfe wäre, wenn er es über sich bringen könnte, mir diesen kleinen Dienst zu erweisen. Wisst ihr, was er geantwortet hat? ›Es ist nicht meine Aufgabe, die Streifenkarte aufzufalten.‹ Ich hätte ihn wirklich umbringen können.«
Mari registrierte, dass Fredrik wie immer eine gute Figur machte. Solche Hüften hätte sie auch gerne gehabt, und die Lederjacke hatte ihn mehr gekostet, als ihm sein Einkommen eigentlich erlaubte. Er hatte dunkles, gepflegtes Haar, bernsteinfarbene Augen, obwohl es das eigentlich nicht gab, und schön geschwungene Lippen. Er war attraktiv. Wieder einmal dachte sie, dass sie damals den Fehler ihres Lebens begangen hatte, als sie nicht gewagt hatte, seinen Kuss zu erwidern.
Sie lernten sich auf einer Reise kennen, die entsetzlich lange zurücklag. Anna und sie hatten sich ein paar Wochen frei genommen, waren nach Italien gefahren, hatten in Museen und bei Stadtrundgängen geschwitzt und, was Anna anging, auch in den Armen italienischer Männer. An einem dieser Abende,
als Anna mal wieder zu einem Drink an die Bar eingeladen wurde und Mari nur zum Heulen zumute war, entschuldigte sie sich kurz und ging nach
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