Mord Unter Segeln
das Gespräch weiter, Ilka hörte die kleine Dickere zu Peter sagen: »Wir bringen Herrn Schöneberg auf sein Zimmer, dann würden wir gern noch einmal mit Ihrer Schwägerin sprechen. Es geht um die Zeugenaussage eines Busfahrers.«
Also doch. Die Arbeitsklamotten hatten nichts genützt. Es musste die frühe Uhrzeit gewesen sein, die sie verraten hatte. Ilka wischte sich mit der linken Hand über die Nase. Schob die Lippen wie zu einem Kussmund zusammen und dachte nach.
Es gab keine großen Alternativen. Aber sie besaß einen Trumpf. Und den würde sie ausspielen. Blitzschnell überlegte sie sich, wie sie vorgehen wollte. Ja. Das war es. Kohlenmonoxid. Davon hatte sie erst kürzlich in der Zeitung gelesen.
Während auf der Terrasse das Gespräch weiterlief, schlich Ilka hinunter ins Erdgeschoss, schnappte sich ihre Handtasche und verließ leise durch die Vordertür das Haus. Alwine sah aufmerksam von der anderen Straßenseite aus zu, wie Ilka Simones Rad aus dem Metallständer neben dem Gartentor zog; der Schlüssel steckte, wie immer. Simone hatte ihr Rad noch nie abgeschlossen.
»Na, Alwine, hast noch nicht genug für heute?«, rief sie betont fröhlich, als sie an Alwine vorbeiradelte, und hoffte gleichzeitig, dass diese Fröhlichkeit nicht zu aufgesetzt wirkte. »Ich fahr noch mal schnell zum Supermarkt, bevor die gleich dichtmachen.« Bevor Alwine antworten konnte, war Ilka um die Ecke verschwunden. Sie brauchte nicht viel, um ihr Vorhaben umzusetzen. Das wichtigste Utensil war ihr Handy. Als ob sie geahnt hatte, dass sie es heute dringend benötigen würde, hatte sie es über Nacht aufgeladen. Nun fehlten nur noch die Hilfsmittel: Einmal-Grills, Gin und etwas Tonic, Müllsäcke und Paketklebeband. Es war so leicht, an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung zu sterben. Das spürte man nicht. Man dämmerte dahin. Vor allem, wenn man, sobald die Grills im geschlossenen Raum vor sich hin glühten, zu trinken begann.
Und doch würde sie nicht sterben, wenn denen im Haus Sophies Leben wichtig war. Sie hatte letztlich doch dem Drängen und Flehen ihrer Schwester nachgegeben und sich typisieren lassen, es Simone jedoch nicht gesagt. Hätte sich herausgestellt, dass auch sie ihrer Nichte nicht würde helfen können, wollte sie Simone gegenüber weiter die Harte, Unnachgiebige spielen. Das hatte bis jetzt ganz gut geklappt und ihr ein vollkommen neues Gefühl der Stärke und Kraft gegeben. Nein zu sagen hatte so gutgetan. Doch dann hatte Simone sie um den Segeltörn gebeten.
Sie hatte den Supermarkt fast erreicht. Wenn die von der Polizei das richtige Angebot machten, würde sie weiterleben, könnte wie geplant in der nächsten Woche die Stammzellenspende machen, und Sophie bräuchte nicht zu sterben.
***
»Ich verstehe das nicht, gerade war sie doch noch hier.« Peter Gerjets öffnete die Tür zu jedem Gästezimmer der oberen Etage, doch nirgends gab es ein Anzeichen von Ilka. Auch die Rufe nach ihr waren unerwidert verhallt, er hatte vom Dachboden bis zum Wäschekeller alle Räume durchgesehen.
»Vielleicht ist sie noch mal kurz los und kauft etwas ein? Sie bewirten Ihre Gäste doch mit Frühstück und Abendbrot.« Christine versuchte, einen plausiblen Grund für Ilka Friedrichsens Abwesenheit zu finden. Sie mussten ja nicht alles dramatisieren, dazu gab es überhaupt keinen Grund. Die Friedrichsen war weg, so was kam vor, sie hatte sich ja nicht abmelden müssen.
»Ja, es gibt aber nur was Normales. Brot, Aufschnitt, Käse und Tee. Simone hat nie gekocht, wenn Sie das meinen. ›Bei uns ist es, als wenn die Leute zu Hause sind‹, hat meine Frau immer gesagt. ›Ich mache das Abendbrot, wenn sie wollen, und wenn sie nicht wollen, gehen sie eben essen.‹«
»War Herr Schöneberg denn zum Abendessen angemeldet?«, fragte Oda. Sie hatten ihn zusammen nach oben in sein Zimmer verfrachtet, Dirks hatte ihm die Schuhe ausgezogen, Oda die Bettdecke erst zurückgeschlagen und sie dann, nachdem Schöneberg mit Hose und Poloshirt aufs Bett gefallen war, über ihn gebreitet. »Ich glaub, der schläft bestimmt bis morgen früh durch, der will sicher keine Schnitte Brot mehr.«
Sie liefen wieder runter. Nach wie vor gab es keine Spur von Ilka Friedrichsen.
»Na, dann warten wir eben. Sie muss ja irgendwann wiederkommen«, sagte Oda und ließ sich auf der Terrasse auf einen Stuhl plumpsen. »Kann ich ein Glas Wasser haben?«
»Klar.« Peter Gerjets wandte sich in Richtung Küche. Als er wiederkam, reichte er Oda ein Glas,
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