Mord Unter Segeln
sie fuhr fort: »Waren Sie denn damals noch mit Ilka zusammen?«
»Ja. Ilka und ich wohnten zusammen, wir wollten heiraten, aber Ilka wollte noch warten, bis das Baby auf der Welt war. Sie war eine Romantikerin. Den ersten Champagner ihres Lebens wollte sie am Tag ihrer Hochzeit trinken. Die Flasche hatten wir schon gekauft. Einen Veuve Clicquot. Ilka hatte sich in das orangefarbene Etikett verliebt. Aber Champagner beziehungsweise Alkohol ging ja während der Schwangerschaft nicht. Darum wollte sie warten.«
»Doch das Baby starb.«
»Ja. Marie starb unter der Geburt. Oder vielleicht kurz davor, jedenfalls kam sie tot zur Welt. Ich war dabei. Es war … nein … ich kann diesen Augenblick nicht beschreiben.«
Dann lass es doch, lass es, Peter. Tu uns nicht weiter weh. Lass es doch! Ilka rutschte an der Gardine nach unten, lautlos liefen ihr die Tränen über die Wangen.
»Was geschah dann?«
Peter schniefte, auch ihn schienen die Gefühle übermannt zu haben. »Wir haben unsere Tochter nur kurz zu Gesicht bekommen. Dann wurde sie uns weggenommen. Das ist fast zwanzig Jahre her. Da war das Denken noch anders. Heute dürfen Sie ihr totes Baby erst einmal bei sich behalten. Dürfen Fotos machen und Abschied nehmen. Damals gab es das nicht. Unser Sternenkind wurde uns genommen, noch ehe wir es richtig wahrgenommen hatten. Das hat Ilka nicht verwunden. Sie hat sich die Schuld daran gegeben, dass Marie nicht hat leben dürfen. Dieses Schuldgefühl hat sie verändert. Es wurde schlimm mit ihr. Ganz schlimm.« Peter stockte. »Letztlich mussten wir sie eine Zeit lang in die Obhut der geschlossenen Psychiatrie geben. Um sie vor sich selbst zu schützen.«
Schützen! Obhut! Lautlos schrie Ilka in ihre Faust. Im Stich gelassen habt ihr mich. Euch miteinander vergnügt, während ich um mein Baby trauerte.
»Und dann?«
»Ilka stand lange unter Antidepressiva. Simone und ich haben uns intensiv um sie gekümmert, aber Ilka blieb teilnahmslos. Wie ein Automat hat sie alles mitgemacht, was man ihr verordnete, aber es war so gar kein Leben mehr in ihr. Auch ich hab sie nicht aus diesem Loch herausholen können. In dieser Zeit kamen Simone und ich uns näher.« Ilka hörte seiner Stimme an, dass ein trauriges Lächeln über sein Gesicht ging, ein Lächeln, das jenes Glück ausdrückte, das sie ihrer Schwester und Peter sofort angesehen hatte. Damals.
»Wir haben uns um Ilka bemüht, Simone und ich, aber letztlich haben wir auf diese Weise den Weg zueinander gefunden, so gegensätzlich wir eigentlich auch waren. Und dann kündigte sich Sophie an.«
Ilka presste die Zähne aufeinander. Was für eine perfekte Aufführung Peter der Kommissarin bot. Doch deren Reaktion ließ Ilka aufhorchen.
»Die aber ja nicht Ihre leibliche Tochter ist, wie wir inzwischen wissen. Das zu erfahren muss Sie ganz schön getroffen haben, das kann man sicher nicht so einfach hinnehmen?«
***
»Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir mit Ilka Friedrichsen reden«, sagte Oda, als sie in einem Eiltempo, von dem sie merkte, dass Dirks es ihr nicht zugetraut hätte, vom Rathaus an der Hauptstraße in Richtung Pension liefen. »Wenn es stimmt und sie tatsächlich die Person ist, die Dienstag früh mit dem Bus nach Hooksiel gefahren ist, dann spricht eine Menge dafür, dass sie mit dem Mord zu tun hat.«
»Du meinst, sie ist die Täterin? Das war gar kein Mann?«, keuchte Dirks neben ihr.
»Keine Ahnung. Vielleicht war Surwold ja auch daran beteiligt und hat letztlich zur Tatwaffe gegriffen. Aber derzeit sieht alles danach aus, als stecke Ilka Friedrichsen bis zum Hals mit drin.«
»Ach, du Scheiße«, entfuhr es Dirks. »Hast du 'ne Waffe dabei? Ich hab meine an der Kaapdüne gelassen. Ich trag die hier nicht immer.«
»Dirks!«, wies ihn Oda genervt zurecht und nahm die letzte Kurve. Die Pension lag friedlich im Nachmittagslicht, schräg gegenüber hockte die alte Alwine Carstens aufs Kissen gestützt im Fenster; wüsste Oda es nicht besser, würde sie denken, es hätte sich seit Montag nichts von Wichtigkeit ereignet. »Also«, sagte Oda und blieb auf dem Bürgersteig vor der Pension stehen. »Wir machen das jetzt folgender…«
Das »…maßen« verschluckte sie, als sie einen kräftigen Handschlag auf die rechte Schulter verspürte und Horst Schöneberg, der ganz offensichtlich mehr als nur eine leichte alkoholische Schlagseite hatte, ihr seinen mit Bier gesättigten Atem ins Gesicht blies.
»Ist alles okay«, sagte er, wobei er Mühe
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