Mord Unter Segeln
war Frank nicht mehr nur ein schwanzgesteuerter Kerl in der Midlife-Crisis, der sich nach langjähriger Ehe eine amüsante Auszeit gesucht hatte, jetzt war Frank Vater. Und musste Verantwortung übernehmen, der Kleine konnte schließlich nichts für die Umstände, unter denen er ins Leben geboren worden war.
Um halb sechs hatte Christine aufgegeben, die Bettdecke zurückgeschlagen und sich unter die Dusche gestellt. Lange und heiß hatte sie das Wasser über sich rauschen lassen, um all ihre Gedanken, ihre Wut, aber auch ihre Trauer abzuwaschen. Danach hatte sie sich ein weißes Handtuch um die nassen Haare gewickelt, war in den dicken weißen Frotteebademantel geschlüpft, hatte sich einen Tee gekocht und in Ruhe den »Wilhelmshavener Kurier« gelesen, bevor sie sich fertig gemacht und sogar daran gedacht hatte, heute ein inseltaugliches Outfit zu wählen. Das bestand aus einer beigen Chinohose zu sportlich-eleganten Pumps mit nur fünf Zentimetern Absatz. Darauf konnte sie auch längere Strecken hervorragend laufen. Dazu trug sie eine weiße Bluse. Jetzt griff sie nach der dünnen braunen Jacke und schnappte sich ihre große Ledertasche, in die sie vorsorglich eine kleine Flasche Mineralwasser steckte. Es wurde Zeit. Peter Gerjets sollte um acht in der Polizeiinspektion sein. Anschließend mussten Oda und sie nach Langeoog, die Fähre ab Bensersiel ging um halb zehn, das würde zwar knapp werden, aber es war zu schaffen.
Die Luft war samt und mild, als sie aus der Haustür trat. Eine weiße Taube flog erschrocken auf, Christine lachte. Milde Luft und eine Friedenstaube, es versprach ein guter Tag zu werden.
Als sie um acht Minuten vor acht in der Polizeiinspektion ankam, wartete Peter Gerjets bereits auf dem Flur. Er war irgendwie eine beeindruckende Erscheinung, das war ihr bereits gestern in der Rechtsmedizin in Oldenburg aufgefallen. Gerjets maß mindestens eins fünfundneunzig und hatte eine sportlich durchtrainierte, schlanke Figur, die er heute durch ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt unter einem dunkelblauen Sakko zur Jeans betonte. Haare hatte er keine auf dem Kopf, dafür trug er einen vollen, von Graustufen durchsetzten Oberlippenbart. Gesicht und Hände waren sonnengebräunt. Insgesamt war Gerjets ein durchaus interessanter Mann.
»Entschuldigung, ich war zu früh.«
»Entschuldigung, ich bin wohl zu spät.«
Die Sätze kamen zeitgleich, und sowohl Christine als auch Gerjets schmunzelten. »Kommen Sie rein. Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?« Sie wies auf den Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand und sicherlich noch ein Relikt der sechziger Jahre war.
»Gern«, sagte Peter Gerjets, und Christine verschwand mit einem »Bin gleich wieder zurück« in die kleine Küche am Ende des Flures, wo sich eine Kaffeepad-Maschine befand. Mit zwei Bechern kehrte sie kurz darauf zurück.
»Danke, dass Sie hergekommen sind«, begann sie das Gespräch. »Wie geht es Ihnen, und vor allem: Wie geht es Ihrer Tochter?«
»Ich habe ihr noch nicht gesagt, dass ihre Mutter tot ist«, gestand Gerjets. »Ich hab die Arbeit in der Pension vorgeschoben, Sophie ist es gewohnt, dass ihre Mutter keine Zeit für sie hat. Sie jetzt im Krankenhaus mit Simones Tod zu konfrontieren wäre absolut kontraproduktiv. Sie ist doch sehr schwach im Moment.«
»Leukämie, sagten Sie?«
»Ja.« Gerjets holte schwer Luft. »Und weder meine Frau noch ich kommen als Knochenmarkspender in Frage. Das ist verdammt bitter.«
»Und in der Deutschen Knochenmarkspenderdatei?«
»Gibt es auch keinen. Sie glauben ja gar nicht, wie verzweifelt man wird, wenn man weiß: Irgendwo da draußen läuft jemand rum, der meinem Kind das Leben retten kann, nur war der oder die bislang zu träge oder ignorant, um sich registrieren zu lassen.«
»Doch, das kann ich mir vorstellen.«
»Ach was.« Gerjets wurde laut. »Das kann sich niemand vorstellen, der nicht in der gleichen Situation war. Haben Sie Kinder?«
»Nein«, musste Christine zugeben.
»Dann können Sie erst recht nicht mitreden.« Noch einmal holte Gerjets tief Luft, fuhr jedoch wieder runter. »Entschuldigen Sie, ich reagiere bei dem Thema manchmal etwas zu heftig. Und jetzt das mit Simone … Ich muss alles vermeiden, was Sophie aufregt. Darum werde es ihr erst sagen, wenn sie wieder zu Hause ist.«
»Wie lange muss Ihre Tochter denn noch im Krankenhaus bleiben?«
»Nur noch zwei Tage. Es ist alles geklärt, unser Inselarzt ist sehr engagiert, da hat man uns erlaubt, Sophie zu Hause
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