Mord Unter Segeln
hab denen gesagt, dass sie noch nicht abreisen dürfen, ehe Sie mit Ihnen gesprochen haben. Sie sind jetzt im Hotel »Kröger«. Wollen Sie zuerst mit den beiden sprechen? Dann ruf ich eben den Schöneberg an, ich hab mir seine Handynummer geben lassen. Ich glaub, der wär am liebsten noch in derselben Stunde aufgebrochen, dem war das alles nicht geheuer, aber seine Frau, die hat richtig Lunte gerochen. Sie wissen schon, so 'ne Sensationsgeilheit, wie die Leute sie gern entwickeln. Dem Schöneberg aber ist das alles an die Nieren gegangen, das hab ich gemerkt. Na ja, der war ja auch schon oft da. War ja so 'ne Art Stammkunde, äh, Stammgast in der Pension, meine ich natürlich. Der war mehrmals im Jahr hier. Da kennt man die Gäste, auch als Inselpolizist.« Er blickte sie fragend an. »Soll ich den nun anrufen?«
***
Heiko Lemke parkte den Dienstwagen hinter dem Deich beim Nassauhafen direkt vor der Schiffshalle des Segelclubs. Er nahm seine digitale Spiegelreflexkamera vom Beifahrersitz und stieg aus. Die Kamera hatte er sich vor einem halben Jahr gekauft, Anfang Januar, als der Winter Wilhelmshaven und den Jadebusen fest im Griff gehabt hatte. Riesige Eisschollen hatten sich aufgetürmt und kleine Eisberge gebildet, die dann, schmuddelig von der winterbraunen Nordsee, in der Sonne schmolzen, um sich im wiederkehrenden Frost neu zu formieren und Motive für grandiose Aufnahmen zu bilden. Schon in seiner Kindheit hatte Lemke gern fotografiert. Nach dem Beinahe-Desaster im letzten Jahr, bei dem er privat in einen Fall verwickelt worden war und fast sein Ansehen bei den Kollegen verloren hätte, hatte er sein Leben anders ordnen und ihm einen zusätzlichen Inhalt geben wollen. So hatte er sich mehr und mehr auf sein Hobby aus der Kindheit besonnen und sich mit dem Gedanken befasst, sich eine angemessene Ausrüstung zuzulegen. Er war glücklich, das auch tatsächlich getan zu haben.
Heute aber waren es keine Eisschollen, die er ablichten wollte. Heute galt sein Augenmerk der Jacht, auf der die Leiche gefunden worden war. Auf Anweisung der Kollegen war das Schiff aus dem Wasser geholt und zur Untersuchung hierhergebracht worden.
Normalerweise mochte Lemke Recherchen vor Ort nicht besonders. Dafür waren andere zuständig, allen voran Oda und seit knapp zwei Jahren auch Christine. Vorher war auch Nieksteit gern »on the road« gewesen, wie er es nannte. Und er zog jetzt noch gern los, wenn es darum ging, Dingen vor Ort auf den Grund zu gehen. Lemke selbst fühlte sich jedoch am wohlsten, wenn er am Schreibtisch sitzen und von dort via Telefon und Internet Recherchen anstellen konnte. Eine Zeit lang hatte das Internet auch die Gestaltung seiner Freizeit bestimmt. Inzwischen hatte er aber am eigenen Leib erfahren müssen, dass die Anonymität dort beim Schließen von Bekanntschaften nicht wirklich ein Vorteil war. Was erfuhr man schon wirklich über den anderen, außer dem, was er oder sie preiszugeben bereit war? Nein, Lemke war geheilt, er war zu naiv gewesen und hatte seine Lektion gelernt. Dass er damals so glimpflich aus der Sache herausgekommen war, hatte er Oda und Christine zu verdanken.
Er näherte sich dem großen offenen Tor, hinter dem lautstark gearbeitet wurde; Flex-Geräusche und der Lärm anderer motorbetriebener Geräte mischten sich zu einer wahren Klang-Kakofonie. Neugierig sah er sich um. Wo war denn nun dieses Schiff, das niemand vermisste und dem man den Namen ausradiert hatte? Er wollte Fotos machen, denn mit Bildern, davon war er überzeugt, würde er der Sache sehr viel schneller auf den Grund gehen können. Natürlich hatten die Kollegen der Spurensicherung Aufnahmen gemacht, aber unter anderen Voraussetzungen. Lemke setzte darauf, dass irgendwer auf Auktionsplattformen wie eBay oder schiffscout.de das Schiff erkennen würde. Er musste es nur ausgiebig genug fotografieren und versuchen, besondere Merkmale abzulichten.
Mit einem lauten »Hallo« betrat er die Halle.
***
»Ich bin noch ganz schockiert«, sagte Horst Schöneberg zur Begrüßung. Er war vorhin sofort am Handy gewesen, als Dirks anrief. »Meine Frau hat auf den Schreck erst einmal eine Wellness-Massage im Hotel gebucht. Deshalb ist sie jetzt leider nicht da.« Oda hegte angesichts des Tonfalls, in dem er das sagte, den Verdacht, dass Schöneberg die Abwesenheit seiner Frau gar nicht so ungelegen kam.
Dirks' Idee, sie könnten sich auf der Polizeistation unterhalten, war weder bei Schöneberg noch bei Oda und Christine
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