Mord Unter Segeln
auch wieder zur Mutter zurück. Weiß man ja nicht. Auf jeden Fall ist die Wohnung für uns vier zu klein. Die Kinder bräuchten jeder ein eigenes Zimmer, du kannst ja keinen Siebzehnjährigen mit einer Fünfzehnjährigen, noch dazu, wenn sie sich überhaupt nicht kennen, in ein gemeinsames Zimmer stecken.«
»Nein.« Christine stimmte ohne Einschränkung zu. »Aber das ist es nicht, oder?«
»Nein.« Oda sog die salzhaltige Nordseeluft ein. Über ihnen kreisten die Möwen, auch heute hatte der Kapitän seinen Spruch losgelassen, dass man die Möwen nicht füttern sollte, da sie keine Windeln trugen. »Ich glaub, ich hab ihm einfach blind vertrauen wollen. Nach der anfänglichen Skepsis hatte ich mich gefühlsmäßig geöffnet, war irgendwie, ja, nenn es einfach glücklich … Und dann kam die Keule. Zack, bum, er hat 'ne Tochter, aber das muss man ja auch nur dann erzählen, wenn die aufzutauchen droht. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja.«
Na, zumindest gab Christine jetzt keine klugen Ratschläge. Sie hörte zu. Und das war schon 'ne Menge. Fand Oda.
***
»Moin«, begrüßte Dirks, der sich selbst gern als »Inselschutzmann« bezeichnete, seine beiden Kolleginnen und streckte ihnen die Hand entgegen, als sie auf dem Bahnhof Langeoog aus dem roten Waggon der bunten Inselbahn stiegen. »Gute Überfahrt gehabt? Ist ja herrlich, bei so 'nem Wetter oben an Deck zu sitzen und die Sonne und den leichten Seewind zu genießen, nich? Dann woll'n wir mal los. Erst mal Räder besorgen.«
Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern drehte sich um, schnappte sich sein Rad, das er am Bürgersteig neben einigen Pferdefuhrwerken abgestellt hatte, die darauf warteten, die Inselgäste samt Gepäck zu ihren Unterkünften zu bringen, und schob schon mal los. Christine blickte Oda an, die zog amüsiert die Schultern hoch, was so viel hieß wie »Na, dann hinterher«, und beide folgten dem drahtigen Dirks, den Christine auf Anfang dreißig schätzte. Sie legte einen Zahn zu und war kurz darauf neben ihm, während Oda gemütlich hinterherstiefelte.
»Haben Sie schon mit dem Hafenmeister gesprochen?«, fragte Christine. »Weiß man, mit welchem Schiff Simone Gerjets gesegelt ist? Ist sie überhaupt von hier losgesegelt oder mit der Fähre rüber aufs Festland? Oder mit dem Flugzeug? Ihr Mann sprach davon, dass sie die Fähre kaum benutzte. Haben Sie mit dem Flughafen gesprochen?«
»Nö.«
»Wie, nö?«
»Hab nicht mit dem Hafenmeister geredet. Und mit denen vom Flugplatz auch nicht. Hab gedacht, das ist euer Ding. Weiß ja auch gar nicht, was ihr so alles wissen wollt. Hier geht's lang.« Er schob sein Rad rechts die gepflasterte Straße hoch, direkt auf einen Fahrradverleih zu, lehnte es an die Hecke und betrat durch ein Tor das Grundstück. Vor einer alten Kate und einem neuen weißen Gebäude standen Fahrräder unterschiedlichster Größe und Art. Auf einem ovalen Emailleschild über dem Eingang der Kate las Christine den Namen »Lütgemeier«. Sie warf Oda, die inzwischen neben ihr stand, einen fragenden Blick zu.
»Tja, Dirks ist kein Freund vieler Worte«, sagte Oda grinsend, und Christine hatte das Gefühl, dass sie sich richtig amüsierte. Das war gut zu sehen, so angespannt und einsilbig, wie Oda am Morgen gewesen war.
»Moin, Klaus, ich brauch mal Räder für die Kolleginnen«, rief Dirks einem älteren Mann mit weißem Vollbart und einem Kranz weißer Haare auf dem Kopf zu. »Du kriegst sie am Abend zurück, wenn die beiden wieder rüber aufs Festland fahren.«
Lütgemeier maß jede von ihnen mit einem abschätzenden Blick. »Na, dann wollen wir mal was richtig Gutes aussuchen.«
Mit einem Zwinkern zog der Fahrradverleiher, dem man ansah, dass er gern lachte, erst eins und dann ein zweites Hollandrad heraus, stellte die Sättel auf die entsprechende Höhe ein, und keine zehn Minuten später waren Christine und Oda bereit zur Abfahrt.
»Ist einfacher so«, erklärte Dirks, der Lütgemeier angewiesen hatte, eine Rechnung an die Polizeiinspektion in Wilhelmshaven zu schicken. »Dann kommen wir schneller von A nach B. Die Kollegen von der Spurensicherung sind schon seit dem frühen Morgen da und nehmen die Pension auseinander.«
Er stieg bereits in die Pedale, als Christine und Oda unisono »Halt« riefen. So ging das ja nun gar nicht.
»Das Ehepaar, das Frau Gerjets als vermisst gemeldet hat, ist das noch auf der Insel?«, fragte Christine und erntete einen verdutzten Blick von Dirks.
»Klar. Ich
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