Mord Unter Segeln
bin nicht mal auf den Gedanken gekommen, das zu tun. Im Gegenteil, ich fände es ziemlich pietätlos, damit anzufangen, bevor meine Schwester beigesetzt ist.«
»Ich kann das natürlich verstehen«, beschwichtigte Christine sie, »aber wir müssen ein Verbrechen aufklären, darum brauchen wir Ihre Unterstützung, gerade was die Sachen Ihrer Schwester betrifft. Denn es gibt Gerüchte, dass Ihre Schwester anderen Männern zugeneigt war. Und darin könnte natürlich ein Motiv liegen.«
»Sonst müssen wir es ohne Sie machen«, vervollständigte Oda ungeduldig Christines Ausführungen, wurde jedoch vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Sie warf einen Blick darauf. Lemke. »Entschuldigung«, sagte sie und nahm das Gespräch an. »Ja, Heiko?«
»Simone Gerjets' Telefondaten der letzten zwei Monate sind da«, hörte sie. »Hast du kurz Zeit, oder ist es dir jetzt egal?«
»Warte.« Sie blickte Christine und Ilka Friedrichsen an und zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Tut mir leid. Ist wichtig.« Mit diesen Worten verließ sie den Raum und lauschte Lemke, der seine Informationen stakkatoartig auf sie niederprasseln ließ.
***
Als Oda den Raum verlassen hatte, lehnte sich Christine entspannter zurück. Sie hatte das Gefühl, sie würde wesentlich besser mit Ilka Friedrichsen zurechtkommen, wenn Oda mit ihrer Gerne-mal-Holzhammer-Methode nicht dabei war.
»Sechzehn Jahre sind eine lange Zeit«, nahm sie den Faden wieder auf. »Gab es einen Grund, weshalb Sie so lange nicht hier waren?«
»Ach, wissen Sie …« Ein Hauch Röte zog über Ilka Friedrichsens Gesicht. »Zeit ist ein sehr relativer Begriff. Wie heißt es so schön? Sie ist eben dahingeflogen, ohne dass ich es mitbekam.«
Christine ließ das erst einmal so stehen, sie würde aber gleich darauf zurückkommen. Es war interessant, dass Ilka Friedrichsen um den heißen Brei redete.
»Ihre Schwester muss ein überaus lebensbejahender und spontaner Mensch gewesen sein.«
»Ja. Das war sie.«
»Würden Sie also sagen, dass an den Gerüchten etwas Wahres dran sein könnte?«
»Das weiß ich nicht.«
»Warum waren Sie denn nun so lange nicht hier? Haben Sie und Ihre Schwester sich nicht verstanden?«
»Nein, so würde ich das nicht bezeichnen. Natürlich habe ich Simone geliebt und sie mich. Aber wir haben eben beide unser eigenes Leben gehabt. Wir haben zwischendurch telefoniert, und das war für beide okay. Außerdem, nennen Sie es ruhig Sentimentalität: Ich habe über die Maßen an meiner Großmutter gehangen und war wohl zu feige herauszufinden, was meine Schwester aus der Pension gemacht hat, die ein großes Stück meiner Kindheit begleitet hat. Ja, ich war wohl zu feige und wollte meine Schwester und ihre Familie nicht dort sehen, wo meine Oma zu Haus gewesen war. Wo mein Heim gewesen war, über das ein anderer das Kommando übernommen hatte.«
»Aber der andere war doch Ihre Schwester.« Christine hatte Schwierigkeiten, das zu verstehen.
»Ja.« Ilka holte noch einmal schwer Luft. »Vielleicht lag es genau daran. Dass sie eben meine Schwester war. Vielleicht wäre ich eher hergekommen, wenn ein Fremder die Pension übernommen hätte. So aber blieb sie ein Teil der Familie, jedoch kein Teil, zu dem ich noch so gehörte wie zu Lebzeiten meiner Oma. Simone und ich waren schon von Kleinkindbeinen an in vielen Bereichen nicht nur unterschiedlich, sondern hatten auch kontroverse Ansichten, die wir beide äußerst vehement vertraten.«
»Warum kam denn Ihre Schwester überhaupt auf Dauer hierher? Es macht nach allem, was wir bisher gehört haben, irgendwie nicht den Eindruck, dass sie fürs Inselleben geschaffen gewesen war. Mir erscheint es eher so, als müsste sie sich hier eingesperrt gefühlt haben.«
»Ilka war damals hochschwanger. Sie wollte Ruhe in der Zeit vor der Niederkunft und –«
In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Ohne sich darum zu kümmern, ob sie Christine unterbrach, sagte Oda: »Na, Ihre Schwester war ja 'ne Marke!« Sie ließ sich auf einen der Sessel fallen. »Die scheint ein richtiger Nachtmensch gewesen zu sein. Ihre Handy-Telefonate hat sie überwiegend ab dreiundzwanzig Uhr geführt. Und da gab es dann zwei Gesprächspartner, mit denen sie regelmäßige und lange Gespräche führte. Den einen konnten wir noch nicht identifizieren, aber der andere war ein Insulaner. Klingeln da irgendwelche Glocken bei Ihnen?«
»Ein Insulaner? Nein. Nicht Toni.« Ilka Friedrichsens Augen nahmen einen Ausdruck an, den
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