Mord Unter Segeln
Bauchansatz hatte, waren seine Beine schlank. Sie steckten in einer Jeans, und Christine war sicher, wenn er sich umdrehen würde, wäre sein Po knackig anzusehen; nicht allzu breit und auch nicht zu schmal. Sie räusperte sich, amüsiert über solche Gedanken, die sie vor einem Jahr garantiert noch nicht gehabt hätte. Was war los mit ihr, die Midlife-Crisis einer Frau in der letzten fruchtbaren Periode? Begutachtete sie Männer inzwischen unter dem Aspekt der möglichen Fortpflanzung? Das war doch vollkommen unter ihrem Niveau.
Während Christine noch mit ihren verirrten Gedankengängen kämpfte, nahm Oda das Zepter in die Hand.
»Simone«, sagte Toni Surwold gerade und kratzte sich am Hinterkopf. »Ja, das hat uns alle hier ganz schön getroffen. Eine von uns. Ermordet, auch noch auf einem Schiff. Wo die doch gar nicht segelte. Unfassbar.«
»Sie sagen es«, bestätigte Oda, und Christine begann, dem Gespräch mit voller Aufmerksamkeit zu lauschen. »Simone auf einem Segelschiff, das ist unfassbar. Das sagen alle. Umso wichtiger ist das Warum. Warum war sie auf einem Segelboot? Warum ist sie übers Meer gesegelt, wo sie doch sonst immer geflogen ist? Wer war ihr so wichtig, dass sie ihre Abneigung oder ihre Ängste vor dem Wasser über Bord schmiss und Schiffsplanken bestieg?«
»Tja.« Toni Surwold verschränkte die Arme auf dem Bauchansatz. Warum nur musste Christine dabei an eine schwangere Frau denken? Sie nahm sich vor, dringend einen Termin beim Gynäkologen zu vereinbaren. Solche Gedanken passten ja überhaupt nicht zu ihr. »Das kann ich Ihnen natürlich auch nicht sagen. Da gab es andere, denen sie näherstand. Wir hatten eigentlich gar nichts miteinander zu tun.«
»Nichts?« Christine verzog schmunzelnd die Lippen. »Oder nichts mehr? Oder doch noch etwas, aber Sie wollen das nicht zugeben?«
Auch Oda stieg mit vollem Geschütz ein. »Wie man hört, sind Sie ein begeisterter Segler und nutzen jede freie Minute auf dem Wasser. Gerade jetzt, nach der Scheidung von Ihrer Frau.«
Sofort schnappte Surwold zu wie eine Auster.
»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.« Seine Miene war, in Farben gemessen, ein tiefes Dunkelgrau.
»Wir reden davon, dass Simone Gerjets der Grund für Ihre Scheidung gewesen sein soll«, sagte Christine.
»Alwine.« Surwolds Tonfall machte sie einen kurzen Augenblick lang sprachlos, aber er fuhr gleich fort. »Natürlich. Alwine. Die hat ja den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als auf ihren Kissen am Fenster zu hocken, die Leute zu beobachten und Verleumdungen zu verbreiten. Die hat schon viel Mist verzapft.«
»Also stimmt es nicht, dass Sie mit Simone Gerjets eine Affäre hatten?«
Surwold fuhr sich demonstrativ mit dem Zeigefinger der linken Hand in die Nase, werkelte darin herum und begutachtete einen Moment das, was er herausgefischt hatte, bevor er es an der Innentasche seiner linken vorderen Hosentasche abwischte. Jetzt erst fiel Christine der goldene Ohrring auf, den er im linken Ohrläppchen trug. Es war eine Art Creole, allerdings sah sie aus wie eine Schaukel, zwischen deren unterer und oberer Ebene Buchstaben standen. Augenblicklich kam ihr in den Sinn, dass dieser Ohrring zu einer alten Tradition gehörte: Seit Jahrhunderten trugen ihn die Seeleute als wertvollstes Gut. Für den Fall, dass sie auf See ums Leben kamen und irgendwo angespült wurden, sollte der goldene Ohrring die Beisetzungskosten decken. Eine makabere Vorstellung, sich aus solchen Gründen einen Ring ins Ohr zu stecken, dachte Christine und griff sich automatisch an ihr eigenes Ohrläppchen, das von einer Perle geziert wurde. Nichts, anhand dessen man sie identifizieren könnte. Heute gab es Plastikausweise.
»Was hat das jetzt mit Simones Tod zu tun?« Surwold gab sich distanziert.
»Sagen wir einmal so: Die Art und Weise, wie Frau Gerjets getötet wurde, deutet auf eine Beziehungstat hin.«
»Na, dann hat das nix mit mir zu tun.« Ein Unterton, den Christine nicht einordnen konnte, lag in seiner Stimme.
»Nicht? Wie war denn Ihr Verhältnis zu Frau Gerjets?«, fragte sie.
Surwold räusperte sich. »Sie werden es ja sicher sowieso herausfinden. Ich hatte tatsächlich was mit Simone. Ist aber schon 'ne Weile her.« Seine Kiefer malmten aufeinander.
»Und daran ist Ihre Ehe gescheitert?«
»Daran? Nee. Das hat Anke gar nicht mitgekriegt.«
»Nicht?« Christine wunderte sich, denn eine Inselgemeinschaft war doch ein ziemlich kleines Dorf, und jeder – außer vielleicht Anke
Weitere Kostenlose Bücher