Mord Unter Segeln
aber nicht auf dem Handy anrufen.«
»Die weiß aber, was sie will, deine Tochter. Hat sie das von dir?« Alex sah Jürgen prüfend an und gab sich dann selbst die Antwort. »Nö. Von dir vermutlich nicht.«
Er schwieg einen Moment. Wartete darauf, dass Jürgen etwas sagte. Mann, der Typ war doch Journalist, der musste doch mit so was Lächerlichem fertigwerden. Da kam so 'ne freche Göre daher und verlangte, bei ihm zu wohnen, aber die konnte man doch auch wieder in den Zug gen Heimat setzen. So what? Wo war das Problem?
»Jürgen, wo ist das Problem?« Das war echt mühsam. Als hätte er nichts Besseres zu tun, als dem Freund seiner Mutter zu helfen, irgendwelche Dinge auf die Reihe zu kriegen. Jürgen musste doch auch andere Freunde haben.
»Mein Problem ist, dass ich nicht weiß, wie ich das mit Laura angehen soll. Ich hätte absolut keine Schwierigkeiten, einem erwachsenen Menschen gegenüberzutreten. Nun aber erwartet eine Fünfzehnjährige, dass ich plötzlich für sie da bin. Ich fühle mich, als würde mir eine Sprengmine ins Haus geliefert, und ich habe keinerlei Handbuch, wie man mit so einer Mine umgeht.«
»Ach so.« Alex feixte. »Ich versteh schon. Ich soll so 'ne Art Dolmetscher zwischen dir und deiner Tochter sein.«
Der Blick, mit dem Jürgen Alex ansah, enthielt tatsächlich so etwas wie Dankbarkeit. »Wenn du das machen würdest, wäre das echt klasse. Denn auch wenn ich es nicht gern zugebe, es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich hilflos vor etwas stehe.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Alex und fühlte sich in diesem Moment richtig gut. Jürgen war schon ein feiner Kerl. Einer, der sagte, wenn was nicht lief. Einer, der Hilfe suchte. Auch wenn das bei jemandem war, der sein Sohn hätte sein können. Alex streckte sein Kreuz durch, das nach monatelangem Training im Fitnessstudio ansehnlich und breit war.
»Wir holen sie einfach gemeinsam ab«, sagte er und warf einen Blick auf die Uhr. »Wenn wir pünktlich sein wollen, dann sollten wir uns so langsam auf den Weg machen.«
***
Erstaunlicherweise hatte Alwine den Mund gehalten, als Ilka, Peter und Sophie die Straße entlanggelaufen waren, obwohl sie wie stets im Fenster saß. Weder Peter noch Ilka hatten »Moin, Alwine« gerufen, man hatte sich heute ja bereits gesehen. Peter trug die Tasche seiner Tochter in der rechten und hielt Sophie an der linken Hand. Ilka lief mit zwei Metern Abstand neben ihnen. Es war fast wie ein Totenmarsch, da wäre es Ilka durchaus recht gewesen, auf einen von Alwines Kommentaren kontern zu können. Als Peter und Sophie ihr auf dem Bahnsteig entgegengekommen waren, hatte Peter keinerlei Anzeichen von Überraschung gezeigt. Er hatte einen Arm um seine Tochter gelegt und gesagt: »Guck mal, Sophie, wie lieb. Tante Ilka holt uns ab.« Dann hatte er Sophie ein kleines Stück in ihre Richtung geschoben und Ilka wortlos zugenickt. Also wusste Sophie inzwischen Bescheid. Nur einmal zuvor hatte Ilka vor einer so schwierigen Situation gestanden, aber irgendwie hatte sie es hinbekommen, ihre Nichte ohne großes Pathos zu begrüßen.
»Warum redet denn keiner von euch?«, fragte Sophie jetzt, als sie auf das Grundstück traten.
»Ist ein bisschen schwierig. Für mich jedenfalls«, sagte Ilka.
»Ja. Lass uns erst einmal angekommen sein«, sagte auch Peter.
Ilka lächelte. »Ich hab Tee vorbereitet. Apfeltee und Sanddorn-Orange. Magst du so was?«
»Ist okay. Ich nehm den Sanddorn.« Völlig entspannt ging Sophie ums Haus herum und ließ sich in den Strandkorb auf der Terrasse plumpsen.
»Wann hast du es ihr denn gesagt? Ich versteh gar nicht, dass sie jetzt so gelassen ist.« Ilka sah Peter fragend an. Als er nicht gleich antwortete, ging sie in die Küche, wo das vorbereitete Tablett stand. Sie hatte damit gerechnet, eine am Boden zerstörte Nichte zu erleben, ein Mädchen, dem der Halt genommen worden war, die sich praktisch im Niemandsland befand. Denn obwohl Peter ihr Vater war, war doch Simone Sophies Ankerpunkt gewesen, schon allein weil Peter die Hälfte der Zeit fort war. Wie konnte es angehen, dass ihre Nichte so unberührt blieb?
Peter war ihr in die Küche gefolgt. »Ja. Das ist wirklich unvorstellbar. Sophie hat nicht einmal gefragt, woran Simone gestorben ist. Als ich sagte: ›Die Mama ist tot‹, meinte sie nur: ›Ach so. Deshalb hat sie mich nicht mehr angerufen. Ich hab mich schon gewundert. Aber ich hab gedacht, sie hat sich wieder mal eine Auszeit genommen. Das macht sie ja ab
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