Mord Unter Segeln
nicht auf die Idee gekommen, dass meine quirlige und weltenbummlerische Schwester meinen damaligen Freund überhaupt zur Kenntnis nehmen würde. Peter war so bodenständig, wie sie flippig war.«
»Aber Sie haben sich geirrt«, stellte Christine fest.
»Ja. Ich habe mich gründlich geirrt. Vielleicht hat sie der völlige Gegensatz an Peter fasziniert, ich weiß es nicht.«
»Wenn Sie all die Jahre keinen oder kaum Kontakt zu Ihrer Schwester hatten, wie haben Sie reagiert, als Simone Sie anrief?«
»Ich war verblüfft. Und sauer. Hab ihr gesagt, sie soll sich jemand anderen suchen, dem sie was vorheulen kann, da wäre ich absolut die falsche Adresse.«
»Den Telefonaufzeichnungen nach hat Simone das aber nicht getan.«
»Nein. Sie brauche meine Hilfe, sagte sie, ich würde Peter doch auch kennen und sie wisse nicht, was sie tun sollte, nun, wo er herausgefunden hatte, dass er nicht Sophies Vater ist.«
»Und das kam wie?«
»Er hat sich testen lassen. Weil er Sophie Knochenmark spenden wollte. Na ja. Und dabei …«
»Ach so.« Christine schwieg verblüfft. Das war eine wirklich verdammt bescheidene Situation. Kein Wunder, dass Gerjets die Fassung verlor. Da wollte er seiner Tochter helfen, den Blutkrebs zu besiegen, und musste erfahren, dass er nicht der Vater war. Das waren zwei Hammerschicksalsschläge auf einmal.
»Jedenfalls tat meine Schwester mir dann irgendwie auch leid. Also, ich mein, sich dem zu verschließen, dazu muss man ja ein Herz aus Stein haben. Ich hab ihr also zugehört, wenn sie stundenlang über Peter herzog und über Sophies Therapie berichtete, die Chemo und alles, was mit Sophie zusammenhing. Immerhin sind wir zwei die Einzigen, die aus unserer Ursprungsfamilie übrig geblieben sind, wo unsere Eltern doch damals tödlich verunglückten.«
»Sie sind sich also wieder ein Stück nähergekommen.«
»Wie man es nimmt.« Das klang nicht gänzlich überzeugt, aber Christine konnte verstehen, dass es für Ilka Friedrichsen keine einfache Zeit gewesen sein musste. »Zumindest Simone ist vollkommen aufgetaut und hat mir alles erzählt. Es war so wie früher, als wir klein waren. Auch das war nicht einfach für mich, denn ich konnte die vergangenen Jahre nicht einfach so ausblenden und wieder an die Kindheit anknüpfen. Man hat ja nun mal so seine Erinnerungen. Meine Oma hat immer gesagt: ›Gott gibt uns Erinnerungen, damit wir Rosen im Winter haben.‹ Die Erinnerungsrosen aus den Gesprächen mit meiner Schwester bestanden für mich aber überwiegend aus sehr dicken Dornen. Und Simone hat, wie Sie ja festgestellt haben, in der letzten Zeit verdammt oft angerufen. Das war mir manchmal wirklich zu viel, dann hab ich einfach nicht abgenommen. Ich kam mit Simones Gefühlsfüllhorn nicht so gut klar. Sie übergoss mich mit dem, was sie dachte, fühlte, wollte, und immer mit der Angst vor Peter, die ich so gar nicht nachvollziehen konnte, denn der Peter, den ich kannte, war ein liebenswerter, bodenständiger und treuer Mensch. Dann rückte Simone damit raus, dass sie vor einem halben Jahr wieder eine Beziehung mit Sophies Vater angefangen hat.«
»Der nicht zufällig Horst Schöneberg oder Toni Surwold heißt?«
Ilka Friedrichsen presste die Lippen aufeinander. »Ich sag wohl besser nichts mehr.«
»Oh nein. So einfach lasse ich Sie nicht davonkommen.« Christine merkte, dass ihr der Geduldsfaden riss. »Wissen Sie, ich habe das Gefühl, Sie wollen gar nicht, dass der Mörder Ihrer Schwester gefasst wird.«
»So ein Unsinn. Natürlich möchte ich Ihnen helfen. Es ist nur … Simone wusste selbst nicht, wer Sophies Vater war. Es hätte Toni sein können, aber sie hatte auch Horst Schöneberg kennengelernt, als sie hier auf Langeoog Urlaub machte.«
***
Feierabend. Oder zumindest das, was zeitlich zu diesem Begriff passte. Oda war rasant mit ihrem Rad in Richtung Holtermannstraße gestartet, dann langsamer geworden, von der Schulstraße auf die Gökerstraße ausgewichen und hatte im Eiscafé »Venezia« einen Cappuccino bestellt. Nein, so übergangslos konnte sie nicht nach Hause. Der Cappuccino war zu heiß, um sofort getrunken zu werden. Sie zögerte, dann zückte sie doch ihr Handy und rief Alex an. Nach dem dritten Klingeln nahm er ab.
»Hi, Mama. Bist du immer noch unterwegs?«
»Nee. Bin eigentlich schon fast zu Hause. Wollte nur kurz wissen, wie es bei dir so ist.«
»Mama.« Alex klang belustigt. »Du willst die Lage sondieren. Gib's zu.«
Sofort ging Oda in die Defensive.
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