Mord Unter Segeln
Simone das Kind auch einfach nur als ständig drohendes Mahnmal auf dem relativ engen Inselterrain rumlaufen lassen. Quasi wie ein Pulverfass, das jederzeit explodieren kann.«
»Warum hat sie dann Peter Gerjets geheiratet?«, fragte Oda skeptisch.
»Um offiziell einen Vater fürs Kind zu haben und als achtbare Frau dazustehen.«
»Och nee, Christine. In welchem Zeitalter lebst du denn? Das macht doch eine wie die Gerjets nicht. Die ist durch die ganze Welt gejettet, die konnte es doch auch mit spießigen Insulanern aufnehmen.«
»Na, da sei dir mal nicht so sicher«, widersprach Dirks. »Hier auf der Insel ticken die Uhren anders. So ganz unrecht hat Christine nicht. Es ist was anderes, einen Mann zu haben, der beruflich viel unterwegs ist, denn als alleinstehende Mutter hier zu leben.«
»Das könnte natürlich ein Grund sein. Sie könnte Gerjets aber auch geheiratet haben, um Surwold zu demonstrieren, dass er so klasse auch wieder nicht ist und dass er leicht zu ersetzen war. Als Partner und als Vater«, mutmaßte Christine.
»Du denkst, sie hat damals eine Art Rachefeldzug gegen Surwold gefahren. Kommt der denn für dich auch als Verdächtiger in Frage?«
»Ja.« Christine nickte. »Denn durch Sophies Erkrankung und die krampfhafte Suche der Mutter nach einem Spender, nach den massiven Bemühungen, die Insulaner zur Typisierung zu bewegen, bestand eine realistische Gefahr, dass Surwolds Exfrau von diesem Verrat erfährt, der schon so viele Jahre zurückliegt.«
In Oda stieg ein unschöner Anflug von Déjà-vu auf. Das hier hatte verdammt viel Ähnlichkeit mit dem, was ihr selbst gerade widerfuhr. Nur dass sie mit Jürgen nicht schon seit was weiß ich wie vielen Jahren verheiratet war. »Aber die Surwolds sind doch geschieden«, wandte sie ein. »Warum sollte er so heftig reagieren, wenn seine Ehe überhaupt nicht mehr in Gefahr war? Das ergibt für mich keinen Sinn.«
»O doch«, meinte Dirks, dem nun offenbar auch etwas dazu eingefallen war. »Das macht sehr wohl einen Sinn. Toni ist finanziell von seiner Geschiedenen abhängig. In der Saison macht er zwar gern einen auf Strandkorbwärter, aber nur, weil er da jede Menge netter und junger Frauen kennenlernt, die er anbaggern kann. Finanziell ist das für ihn nur so nebenbei. Leben, zumindest so, wie er das macht, kann er von dem Gehalt nicht. Das, was er da verdient, gibt er für seine Reisen in den Wintermonaten und für anderes aus. Tonis Haupteinnahmequelle ist das Restaurant seiner Frau. Er müsste sich verdammt warm anziehen, würde Anke ihn nicht so großzügig unterstützen.«
***
Horst Schöneberg saß an Bord der »Langeoog III«. Er spürte sein Blut durch die Adern rauschen. Lange hatte er überlegt, ob er einfach alles seinen Gang gehen lassen sollte, doch dann war ihm klar geworden, dass man ihm auch so auf die Schliche kommen würde. Die Telefonsex-Sache, die er der Kommissarin gebeichtet hatte, war zwar nicht gelogen, aber es hatte früher ja auch andere Zeiten gegeben. Edeltraud gegenüber hatte er eine weite Anfahrt für den nächsten Kunden vorgeschoben; ob sie ihm allerdings glaubte, war eine andere Sache. Und zweitrangig. Seit Dienstag rotierten seine Gedanken in einem Kettenkarussell, ständig befürchtete er hinauszufallen, mitten hinein in einen Sumpf, der aus seinen eigenen Lügen bestand und der ihn nicht einfach würde freigeben können.
Deshalb war es wichtig, persönlich mit der Kommissarin zu sprechen. Sie machte einen kompetenten und lebenserfahrenen Eindruck. Er musste versuchen, jedweden Schaden abzuwenden. Sein Handy hatte er ausgeschaltet. Er konnte Edeltraud in dieser Situation einfach nicht ertragen. Außerdem wollte er nicht, dass sie etwas bemerkte. Er trank zu viel in der letzten Zeit. Zwar hatte er sich nach außen hin im Griff. Allerdings hatte sie ihn erst vor Kurzem gefragt, warum da ein Flakon seines Rasierwassers in der Mittelkonsole seines Autos lag. Er hatte es damit begründet, dass er eben viel unterwegs sei und nach langen Autobahnfahrten einfach frisch riechen wollte. Edeltraud hatte ihm geglaubt.
Es war alles einfach zu viel geworden. Der Stress im Job. Edeltraud bekam ja überhaupt nicht mit, welchem Druck er ausgesetzt war. Er musste Zahlen erfüllen, die sich irgendwelche Typen, die keine Ahnung davon hatten, was wirklich am Markt los war, ausdachten. Das waren Umsatzhürden, die er in den letzten Jahren jedes Mal nur knapp geschafft hatte; er kam sich vor wie ein alternder Turniergaul, der
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