Mord Unter Segeln
kurz davor ist, die Latte am Hindernis zu reißen. Dazu jetzt die Überlegungen, die sich um Simone drehten. Und um Sophie. Um die Konsequenzen, die folgen würden, hätte er mit seinen Vermutungen recht. Nein, er war eindeutig zu alt für derartigen Nervenkitzel und Druck. Dass er Edeltraud all die Jahre angelogen hatte und nun damit rechnen musste, dass sie von den Lügen erfahren würde, machte die ganze Sache nicht einfacher. All das, der Druck, der Stress, die Unsicherheit, wurde erträglich, wenn er morgens einen kleinen, einen wirklich nur winzigen Schluck Wodka trank. Wodka roch man nicht, das wusste er noch aus seiner Jugend, und bislang hatte ihn auch keiner seiner Kollegen auf eine etwaige Fahne angesprochen. Und so schlimm war das ja auch nicht. Er betrank sich ja nicht. Darauf achtete er natürlich. Nur hier und da mal einen kleinen Schluck. Und zwischendrin sprühte er sich das Aftershave ins Gesicht. Bislang war alles gut gegangen.
Jetzt griff er in die Innentasche seiner Jacke und zog sein Zweithandy hervor. Es war wohl egal, von welchem Telefon er die Kommissarin anrief, wahrscheinlich hatten sie inzwischen sowieso herausgefunden, dass Simone und er über diese Nummer Kontakt gehalten hatten. Diese Nummer war nur für Simone und ihn. Aber die Kripo kriegte ja heutzutage alles raus.
Er griff zu dem Zettel, den er in die Hülle des Handys gesteckt hatte, und wählte die darauf notierte Nummer.
»Cordes?«
»Sind Sie noch auf der Insel?«, fragte er, ohne sich zu melden.
Die Kommissarin wirkte irritiert. »Herr Schöneberg?«
»Ja. Sind Sie noch auf Langeoog?«
»Ja.«
»Ich sitze auf der Fähre. Bin in zwanzig Minuten da. Und muss mit Ihnen reden. Über Simone, Sophie und das alles. Können Sie mich am Bahnhof abholen?«
»Natürlich.«
»Dann bis gleich.« Horst Schöneberg legte auf. Er behielt das Telefon in der Hand, betrachtete es nahezu liebevoll. Es war ein altes Nokia, ein Handy, mit dem man tatsächlich nur telefonieren konnte. Bilder aufnehmen, als MMS versenden, ins Internet gehen, all das war mit diesem Gerät nicht möglich. Und doch war es für ihn die Verbindung in eine andere Welt gewesen. Die Verbindung zu Simone. Zart streichelte er das Telefon, über das er am frühen Montagabend noch eine scharfe SMS von ihr erhalten hatte.
***
»Ich glaub, wir müssen uns aufteilen, es scheint, als ob Dynamik ins Männerkarussell der Gerjets kommt.« Christine steckte ihr Handy zurück in die Ledertasche.
»Dynamik ins Männerkarussell? Das hört sich spannend an.« Oda zog die Tür der Polizeistation an der Kaapdüne hinter sich ins Schloss. Dirks wollte später zu ihnen stoßen.
»Das war Schöneberg. Er muss mit mir sprechen, hat er gesagt.«
»Hm. Dafür war es aber ein kurzes Telefonat.«
»Er ist auf der Fähre und in zwanzig Minuten am Bahnhof.«
»Ach nee.« Oda zog die Augenbrauen zusammen, wie sie das gern tat, wenn sich eine bizarre Situation ergab, und feixte: »Du meinst, Schöneberg will auch etwas zu den Herrenflecken auf dem Laken der Gerjets sagen? Ich denk, der hat dir verklickert, dass da alles nur am Telefon lief. Unkörperlich, sozusagen. Und die Spusi hat doch ausgeschlossen, dass es seine DNA war.« Oda prustete laut heraus. »Unkörperlich. Wie heißt das hochgestochen? Non-sowienoch?« Sie grinste.
Christine fand das nicht ganz so amüsant. »Warten wir es ab«, sagte sie, während sie am Lale-Andersen-Denkmal vorbeiliefen. In Gedanken war sie bereits im Gespräch mit Schöneberg, als von links eine Stimme rief: »Das ist aber eine Überraschung! Zwei Kolleginnen aus Wilhelmshaven.«
Carsten. Sofort spürte Christine, wie sie rot anlief. Zudem trug Odas »Ach, du Scheiße, der hat mir gerade noch gefehlt!« nicht dazu bei, dass die Farbe verblasste.
»Kannst ja schon vorgehen und dich um Surwold kümmern«, zischte Christine, der Odas offen gezeigte Antipathie Steegmann gegenüber in diesem Augenblick gar nicht gefiel. Die konnte sich doch auch mal zusammenreißen. Sie wandte den Kopf nach links und lächelte automatisch. Carsten hatte sich erhoben und kam ihnen von der Terrasse des Hotels »Kröger«, wo er einen Cappuccino vor sich auf dem Tisch stehen hatte, entgegen.
»Sind Sie sehr im Stress, oder darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?« Er reichte erst Oda die Hand, dann Christine und zwinkerte ihr dabei verschwörerisch zu.
»Also, so gern ich auch würde«, hörte Christine Oda dann doch freundlich antworten, »aber ich bin wirklich in
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