Mord Unter Segeln
Pension saßen. Alles war aufgeräumt und machte den Eindruck, als liefe der Alltag völlig störungsfrei, als sei die Frau ihnen gegenüber seit jeher die Seele der kleinen Pension. Ilka Friedrichsen hatte sich überrascht gezeigt, als Christine und Oda darum baten, ihre Fingerabdrücke als Vergleichsspuren zu nehmen. Natürlich gebe es an Bord der »Luzifer« ihre Abdrücke, hatte sie gesagt, immerhin hätte sie die Jacht an den Ort gelegt, von dem sie wohl in der Nacht auf Dienstag verschwunden war, aber davon hätte sie ja überhaupt keine Ahnung gehabt. Sie hatte Dienstag vom Tod ihrer Schwester erfahren und gleich ihre Sachen gepackt, um hier auf der Insel Schwager und Nichte beizustehen. Dass es die »Luzifer« gewesen sei, auf der man Simone fand, höre sie jetzt zum ersten Mal. Weder Sven noch Tobias hätten sie darüber informiert, aber sie gab zu, seit ihrer Ankunft auf Langeoog auch nicht auf ihr Handy geguckt zu haben. Vielleicht aber hatten ihre Partner sie damit auch nicht belasten wollen oder waren davon ausgegangen, dass sie es sowieso erfahren würde. Und da sie gemeinsam mit Sven und Tobias daran gearbeitet hatte, die »Luzifer« für die Versteigerung vorzubereiten, sei das mit den Fingerabdrücken auch überhaupt kein Problem, sie habe ja nichts zu verbergen.
Christine zog aus ihrer ledernen Umhängetasche ein schwarzes Stempelkissen und einen Bogen stärkeres Papier. Dirks hatte ihnen Ersteres in Ermangelung der speziellen Fingerabdruckfarbe mitgegeben. »Darf ich?« Sie nahm Ilka Friedrichsens Hand und fing an, jeden einzelnen Finger der Friedrichsen erst aufs Stempelkissen und dann aufs Papier zu drücken. Im Büro des Bürgermeisters gab es einen Scanner, Dirks würde die Abdrücke, gleich wenn sie hier fertig waren, vom Bürgermeisterbüro aus an die Kriminaltechnik in Wilhelmshaven schicken, sodass sie noch heute erfuhren, ob die Spuren übereinstimmten. »Wir fragen uns natürlich, warum Sie uns das verschwiegen haben.«
Ilka Friedrichsen zog mit den Zähnen kurz die Oberlippe nach innen und kaute jenen kurzen Moment darauf herum, den man braucht, um sich eine Antwort zurechtzulegen. Christine fiel auf, dass ihre Fingernägel abgekaut waren. Das war bei ihrem letzten Zusammentreffen noch nicht der Fall gewesen, wenngleich sie sich nicht erinnern konnte, ob die Nägel lackiert gewesen waren oder nicht. Zumindest war es kein auffallender Lack gewesen, wenn überhaupt. Aber sie hatten nicht so malträtiert ausgesehen. Das war sicher.
Mit einem Lächeln, das Verständnislosigkeit ausdrückte, sagte Ilka Friedrichsen schließlich: »Hören Sie, meine Schwester ist ums Leben gekommen. Ich wünsche Ihnen nicht, dass Ihnen so etwas widerfährt, aber glauben Sie mir, es gibt in einem solchen Moment Wichtigeres, als der Polizei zu erzählen, wo genau man arbeitet.«
Gut gebrüllt, Löwe, dachte Christine und sah, dass Oda einen ähnlichen Eindruck haben musste. Die wedelte inzwischen mit dem Papier, damit die Stempelabdrücke trockneten. Ilka Friedrichsen ging zur Spüle und wusch sich mit Spülmittel die Stempelfarbe von den Fingern.
»Sie verstehen aber, dass uns das stutzig macht?«, fragte Oda, setzte sich wieder und schob Christine den Bogen hinüber, die ihn in eine Klarsichthülle steckte und in ihrer Tasche verschwinden ließ.
Ilka Friedrichsen stellte das Wasser aus, griff zu einem Handtuch und trocknete sich ab, während sie zunehmend in Fahrt geriet.
»Nein. Ich habe verdammt noch mal das Gefühl, dass Sie überhaupt keine Ahnung haben, worüber wir hier reden.«
»Oh doch«, gab Oda lächelnd zurück. »Wir wissen genau, worüber wir reden, und wir haben den Eindruck, dass Sie von der ›Luzifer‹ ablenken wollen.«
»Das ist ja ausgemachter Unsinn. Natürlich möchte ich nicht ablenken, ich bin einfach fertig.«
»Das glaube ich Ihnen nicht. Es sei denn, es gibt jemanden, den Sie schützen wollen.«
***
Horst Schöneberg schwitzte, als er das Sprechzimmer des Inselarztes betrat. Gut, es war Juli, und gut, die Temperaturen waren durchaus sommerlich, aber sie waren nicht der Grund dafür, dass er schweißnasse Hände hatte. Für einen Sekundenbruchteil fiel Horst ein, dass Edeltraud vor ein paar Jahren eine ganze Zeit lang über plötzliche Schweißausbrüche geklagt hatte. In diesem Augenblick verstand er, was sie meinte. Nein, schön war das wirklich nicht.
»Herr Schöneberg.« Dr. Koller sah in seinem hellblauen Poloshirt mit dem roten Aufdruck »Inselkoller« über
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