Mord Unter Segeln
Rechtsprechung bei einer Scheidung anguckt«, meinte Christine nicht wirklich ernsthaft. »Aber als ich da angerufen habe, machte sie am Telefon einen so unterwürfigen Eindruck, ich kann mir nicht vorstellen, dass die je von sich aus den Gedanken haben würde, ihren Mann zu verlassen. Und aus dem Gespräch mit ihm hab ich herausgehört, dass es zwar sein größter Horror wäre, wenn seine Frau herausfände, dass er ein Kind hat, weil er dann wohl befürchtet, dass sie ihr weiteres Zusammenleben lang nur noch herumzetert, dass er sich andererseits aber nichts sehnlicher wünscht, als Sophies Vater zu sein.«
»Also können wir ihn von unserer Liste streichen. Denn wenn er wirklich so gern der Vater wäre, würde er es, wenn es sein müsste, sicher auch seiner Frau gegenüber verteidigen.«
»Im Gegenteil«, fiel es Christine ein, »überleg doch mal. Wenn Sophies Mutter tot, Schöneberg aber der Vater ist und er der Tochter nun ein neues Zuhause anbieten könnte …«
»Du meinst ?«
»Ich meine gar nichts, mir kam nur gerade dieser Gedanke. Aber er passt nicht zu Schöneberg. Der war so rührend bemüht, möchte es allen recht machen, seiner Frau, vielleicht seiner Tochter; nein, ich halte ihn zu solchen Überlegungen und einer derartigen Tat dann doch nicht für fähig. Du hast recht, streichen wir ihn. Surwold traue ich das eher zu.«
»Aber ich will den Gerjets nicht so einfach aus dem Spiel lassen«, beharrte Oda gerade, als sich die Zimmertür mit jenem leichten Knarren öffnete, das Holztüren zu eigen ist, die lange in Häusern hängen, die permanent salzhaltiger Inselluft ausgesetzt sind. Dirks trat ein, ein Tablett derart wacklig balancierend, dass Christine es jeden Moment auf den mit billigem Linoleum ausgelegten Boden knallen sah.
»Ich hab Kaffee, Milch und Sahne und Zucker. Und meine Frau hat wieder selbst gebackene Kekse dazugestellt.« Sichtbar stolz auf sein Engagement stellte er das Tablett auf den Tisch. »Wie weit seid ihr?«
Während er den Kaffee in Tassen ohne Untertassen verteilte, was Christine heute aber nicht wirklich übel nahm, klingelte Odas Telefon. Sie warf einen Blick darauf. »Nieksteit«, sagte sie, als sie das Gespräch annahm. Die beiden anderen verstummten.
***
Horst Schöneberg saß mit aufgeregtem Unbehagen auf dem Stuhl im Wartezimmer des Inselarztes an der Hauptstraße. Er hatte sich im Vorfeld informiert und gesehen, dass der Doktor heute bis zum frühen Nachmittag Sprechstunde hatte. Außer ihm warteten fünf weitere Patienten. Keiner, der wirklich erkrankt schien, bis auf eine Frau mittleren Alters, die aber vielleicht auch erst Anfang dreißig war, so genau wusste Schöneberg das nicht. Sie röchelte zumindest wie eine Frau jenseits der Siebziger, die zeit ihres Lebens Raucherin gewesen war und bei deren Hustenattacken man den Schleim hörte, der sich löste und den sie geräuschvoll hinunterschluckte, was Schönebergs Wohlbefinden keineswegs steigerte. Ihm gegenüber saß ein kleiner Junge auf dem Schoß seiner Mutter, die offensichtlich zur Generation jener Eltern gehörte, die immer und überall demonstrieren mussten, dass Kinder die Zukunft waren und dementsprechend Sonderstatus genossen. Momentan bekräftigte sie diesen Sonderstatus dadurch, dass sie dem Blondschopf ein Bilderbuch über Feuerwehrmänner vorlas, in einer Lautstärke, die Schönebergs ohnehin schon leicht angeschlagenen Geduldspegel auf Explosionsgefahr senkte. Wütend warf er der Mutter, die so stark übergewichtig war, dass sie kaum in den Schwingsessel passte, Blicke zu, räusperte sich ständig und wartete nur darauf, dass von ihr die Aufforderung käme, das Räuspern zu unterbinden. Doch die erfolgte nicht von der Vorleserin, sondern von dem alten Mann, der nach ihm hereingekommen war und nun neben ihm saß.
»Wenn Sie sich etwas leiser räuspern, dann kann ich verstehen, was die vorliest«, sagte er. »Sind ja zum Teil doch neue Methoden, und das ist in dem Buch ja schön verständlich erklärt.«
Schöneberg atmete tief ein, griff nach einer der Lesemappen, die auf dem Glastisch lagen, und vertiefte sich in den neusten Klatsch aus dem schwedischen Königshaus, bis er aufgerufen wurde. Nun wurden ihm doch die Knie weich. Die nächsten Minuten würden darüber entscheiden, wie sein Leben weiter verlief.
***
»Sie hätten uns sagen können, dass Sie Miteigentümerin der Werft sind«, begann Christine das Gespräch, als Oda und sie mit Ilka Friedrichsen in der Küche der
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