Mord zur Bescherung
marmorhart. Sie seufzte abgrundtief.
»Mr. Scrimshaw war nicht im Zimmer.«
Honey legte den Kopf zur Seite. Mary Janes Gespenstergeschichten waren ja unterhaltend, aber das hier versprach noch spannender zu werden.
»Wenn also Scrimshaw nicht im Zimmer war, wer war es denn dann?«
Mrs. Finchley hob ihre hellen, kugelrunden Augen. »Mallory. Eamon Mallory. Zumindest … sah er ihm so ähnlich.« Sie runzelte die Stirn, als sie versuchte, die Erinnerung wieder heraufzubeschwören. »Er sah aus wie Eamon. Ich meine, so, wie er damals aussah, nicht so, wie er heute aussehen würde.«
Honey schnitt eine Grimasse. Mit dieser Antwort hatte sie nun gar nicht gerechnet. Sie vermutete, dass es Doherty ganz ähnlich ging.
»Entschuldigung, aber wer ist Eamon Mallory?«, fragte sie.
Mrs. Finchley schluckte schwer, ehe sie antwortete. »Eamon Mallory war Clarence Scrimshaws Geschäftspartner. Er ist vor einigen Jahren gestorben.«
»Habe ich auch schon gehört«, antwortete Honey. Doherty schaute sie vorwurfsvoll an. »Hat mir Alistair erzählt«, erklärte sie.
Doherty reckte das Kinn vor. Er stand jetzt mit verschränkten Armen vor Mrs. Finchley. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie in diesem Hotel einen toten Mann gesehen haben?«
Mrs. Finchley nickte. »Obwohl er es natürlich nicht gewesen sein kann. Er ist ja wirklich tot.«
»Wo sind Sie hingegangen, nachdem Sie das Hotel so eilig verlassen hatten?«
»Ich bin zu Clarence, zu Mr. Scrimshaw. Ich wollte ihm sagen, dass ich Eamon Mallory – oder seinen Geist – gesehen hatte. Seit zwanzig Jahren hatte ich ihn nicht erblickt. Er ist vor zwanzig Jahren zu Weihnachten weggegangen, mit einer jüngeren Frau nach Amerika durchgebrannt. Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass sie alle bei einem Brand in seinem Haus umgekommen sind …« Sie hielt inne. »Oder vielleicht nicht alle«, meinte sie mit tief gerunzelter Stirn, während sie sich krampfhaft bemühte, sich an Einzelheiten zu erinnern. »Eamon ist auf jeden Fall umgekommen, und ich glaube, das Kind auch. Bei Daisy bin ich mir nicht so sicher.«
»Daisy? Wie lautete ihr Mädchenname?«
»Barber, glaube ich. Ich habe sie nie kennengelernt. Ich vermute, Mr. Scrimshaw hatte auch ein Auge auf sie geworfen.Sie war wohl Schriftstellerin – eine amerikanische Schriftstellerin. Jetzt fällt mir wieder ein, dass er sich in seinem Büro eingeschlossen hat, nachdem bekannt wurde, dass die beiden zusammen durchgebrannt waren.«
»Sie sind also zu Mr. Scrimshaw gegangen, um ihm zu berichten, dass Sie Eamon Mallory gesehen hatten – obwohl der angeblich tot war. Um welche Zeit sind Sie im Büro gewesen?«
Sie zuckte die Achseln und schien verwirrt. Honey vermutete, dass sie Schwierigkeiten hatte, die Geschehnisse irgendwie in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.
Honey wiederholte die Frage, die Doherty bereits gestellt hatte. »Um welche Zeit sind Sie im Büro gewesen?«
Mrs. Finchley blinzelte wie jemand, der gerade aus einem tiefen dunklen Bergwerk ans Tageslicht kommt.
»Etwa um Viertel nach fünf, denke ich. Da hat er noch gelebt. Ich schwöre es. Ich habe ihn nicht umgebracht!«, rief sie und schaute die beiden flehentlich an. »Es gibt viele Leute, die einen guten Grund hatten, ihn umzubringen. Aber ich nicht. Ich habe ihn geliebt. Ich habe ihn wirklich geliebt.«
Doherty nahm Honey zur Seite.
»Meinst du, dass sie eine Frau ist, die jemanden aus Leidenschaft ermorden könnte?«, fragte er.
»Möglich wäre es schon. Aber erst würde sie eine Schokoladentorte niedermachen. Trostessen kommt bei Herzensangelegenheiten immer zuerst. Das ist bei uns Mädels nun mal so.«
Doherty schüttelte ungläubig den Kopf. »Frauen!«
Mrs. Finchley durfte jetzt gehen, aber nicht bevor sie ihnen verraten hatte, wer einen guten Grund gehabt hätte, ihren ehemaligen Arbeitgeber ins Jenseits zu befördern.
»Eamon hätte einen, wenn er noch lebte. Sie haben sichoft über Bücher gestritten. Sie haben beide wie besessen antiquarische Bücher gesammelt.«
»Mrs. Finchley, haben Sie je wertvolle Bibeln in Mr. Scrimshaws Besitz gesehen?«, fragte Honey.
Die Frau zuckte die Achseln. »Alte Bücher habe ich gesehen. Einige davon könnten Bibeln gewesen sein.«
»Haben Sie eine sehr alte gesehen, die kurz vor Weihnachten eintraf?«
Mrs. Finchley schüttelte den Kopf. »Aber das heißt nicht, dass keine angekommen ist. Mr. Scrimshaw hat immer sehr geheimnisvoll getan mit den Büchern, die er sammelte.«
Honey wandte sich an
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