Mord zur besten Sendezeit
einzigen Verdächtigen zu unterhalten — Buster Singer, dem fünfundzwanzigjährigen Sohn und Erbe des Singerschen Vermögens.
Dem Artikel im Daily Mirror zufolge war es tatsächlich Buster gewesen, der Sohn vom Boss, der von Sabrina auf die Gleise geschubst worden war. Von seinem Krankenhausbett aus erzählte Buster am Tag nach dem Vorfall den Reportermassen allerdings eine ganz andere Version der Geschichte. Nach seiner Darstellung hatte er nicht aufgepaßt, als er den Bahnsteig entlanggegangen war. Er behauptete, er sei zufällig hinuntergestolpert, gerade in dem Moment, in dem ein Zug einfuhr. Er wurde innerhalb von zwanzig Minuten nach dem Unfall in das Manhattan General Hospital transportiert. Die Notärzte sammelten auch sein Bein ein und brachten es in einer Plastiktüte ins Krankenhaus. Leider hatte das Krankenhaus gerade etwas wenig Eis. Die Ärzte versuchten, das Bein wieder anzunähen, schafften es aber nicht. Ein Sprecher des Krankenhauses sagte, das habe nichts mit dem Eismangel zu tun gehabt. Die Operation hatte fünfzehn Stunden gedauert. Buster war auf dem besten Wege der Genesung, soweit man das sagen konnte. Eine Anzeige war nicht erstattet worden.
Was nicht im Bericht stand war, warum Buster Singer mit der U-Bahn fuhr und nicht mit der familieneigenen achtzehnrädrigen Limousine. Die Frage, wie man so unaufmerksam an der Kante eines Bahnsteigs sein konnte, überstieg im übrigen meine intellektuellen Fähigkeiten. Ich würde selbst für eine Wette nicht die gelbe Warnlinie übertreten. Sabrina hatte nicht gesagt, ob sie Buster vor diesem Vorfall gekannt hatte oder nicht. Hatten sie sich durch Sinclair Singer kennengelernt, oder im Studio? Vielleicht hatte Buster sie von ferne angehimmelt (wie so viele andere auch) und sich einfach nur den falschen Tag ausgesucht, um sie anzusprechen. Jedenfalls war die Sache für Buster nicht so gut ausgegangen.
Ich war erstaunt, daß keiner der Reporter die Geschichte weiter verfolgt hatte. Wahrscheinlich hatte Sinclair Singer die Parole ausgegeben, die Dinge ruhen zu lassen. Singer besaß auch den Daily Mirror.
Während wir am Central Park vorbeikamen, bemerkte ich, daß die Blätter gefallen waren und daß das Gras sich langsam braun färbte. Ich hätte für mein Leben gern eine geraucht. Ich fragte mich, ob das ausschließlich psychologisch zu erklären sei oder ob eine Nikotinuhr wie eine biologische Uhr in meinem Körper tickte.
Am Singer Plaza schoben Alex und ich uns durch die Drehtür mit vergoldeten Griffen. Die Eingangshalle war mit weißen Marmorplatten verkleidet, die an den Ecken und Kanten mit Gold bemalt waren. Sie erinnerte mich an Museen in Paris. Die Decke war sieben Meter hoch. Merkwürdige Palmen (echte, ich faßte sie zur Probe einmal an) reichten bis an die Kristallüster hinauf. Vergoldete Bänke mit flauschigen, chintzbezogenen Kissen stellten den Laden eher willkürlich voll. Marmorplastiken von Dschungeltieren in Posen der Attacke und der Ruhe strichen um die Bänke herum. Am anderen Ende, weit von uns entfernt, befand sich ein zehn Meter hohes Gemälde des Empire State Building. Ich konnte mir einen großen Waschraum im Keller vorstellen, in dem das Geld gereinigt wurde. Ich sagte Alex, er möge sich im Hintergrund halten. Das Reden wollte ich besorgen.
Die Uniform des Doorman erinnerte mich an die der Wachsoldaten am Buckingham Palast. Er war um die sechzig, rund, grau und eher verstaubt, wie er da hinter einem massigen Marmortresen stand. Er wirkte sehr zurückhaltend und schien diesen Eindruck auch gerne erwecken zu wollen. »Kann ich Ihnen weiterhelfen, Madam?« Er blickte an seiner sehr langen Nase entlang auf mich herab, als sei er in Wahrheit kein Doorman.
»Buster Singer«, sagte ich.
»Darf ich fragen, wer mit ihm sprechen möchte?« Er hatte einen sehr betont britischen Akzent.
»Das dürfen Sie.«
Er holte tief Luft. »Wer sind Sie, Madam?«
»Wanda Mallory. Ich bin eine Freundin von Sabrina Delorean.«
Bei der Erwähnung dieses Namens brach der arrogante Gesichtsausdruck des Doorman in sich zusammen. Er erholte sich, allerdings viel zu spät. Also wurde Sabrinas Name in dieser Gegend nicht gerade hoch gehandelt. Ich ging daher davon aus, daß Sinclair Singer und der Rest der Familie wußten, was an dem Tag in der Subway wirklich passiert war. Oder vielleicht wußte es auch nur der Doorman. New Yorker haben oft sehr merkwürdige Verhältnisse zu ihren Doormen. Er richtete seinen Pelzhut auf und hob den Hörer des
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