Mord zur Geisterstunde
Nase. »Ja, das stimmt, die schmerzt noch ziemlich.«
Hinter ihnen verschwanden die Lichter des Queen Square, als sie in die George Street einbogen und dann in einem Linksschwenk auf den Circus zusteuerten. Das Green River Hotel lag in der entgegengesetzten Richtung.
»Warum nehmen wir die Touristenroute?«, erkundigte sich Honey.
»Vielleicht folgt uns jemand.«
»Rrgh.« Sie unterdrückte ein Schaudern. Nachdenklich schaute sie aus dem Fenster. Sie nahm an, dass es der Typ auf dem Motorrad war.
»Ist es Warren Price?«
|177| »Ich würde mir an deiner Stelle seinetwegen nicht allzu viele Sorgen machen.«
»Aber du hast doch gesagt …«
Er schnaubte. »Vertraue mir. Es wird alles gut.«
Entspann dich, munterte sie sich im Geiste auf. Genieße die Aussicht.
Genau das machte sie auch. Und das war wirklich nicht schwierig. Bei Nacht sahen die georgianischen Bauten genauso gut aus wie am Tag – nur anders. Da nun weniger Verkehr auf der Straße war, blieb mehr Freiraum für die Phantasie.
Sie betrachtete Schatten, die sie vorher nie wahrgenommen hatte. War da hinten eine versteckte Gestalt auszumachen? Möglich wäre es schon. Ein paar Nachtschwärmer drückten sich sicher noch irgendwo in finsteren Ecken herum.
Jetzt übermannte sie vollends die Neugier. »Dieser Warren Price, was ist das für ein Mensch?«
»Das möchtest du wahrscheinlich lieber nicht wissen.«
»Dann würde ich ja nicht fragen. Er interessiert mich wirklich.«
Sie begriff nicht recht, warum er so ausweichend antwortete. Während ihrer ganzen Zusammenarbeit war er bisher stets offen und ehrlich gewesen.
»Versuchst du mir Angst einzujagen?«
»He!«, rief er und lachte nervös. Er wandte die Augen von der Straße und schaute sie an. »Wieso sollte ich das denn tun? Mach dir keine Sorgen.«
Irgendetwas stimmte nicht. Sie merkte es an seinem Tonfall. Auch sein Lachen hatte gezwungen geklungen.
Irgendwas war mit Steve Doherty. Er wollte mit etwas nicht herausrücken. Wieder kam ihr der Motorradfahrer in den Kopf, der ihr in letzter Zeit aufgelauert hatte.
Sie konnte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen.
»Also los. Erzähl mir mehr.«
»Na gut.« Er sprach langsam, als wollte er noch gründlich nachdenken. »Dann wollen wir mal sehen … okay … Warren Price. Den habe ich eingelocht. Er hatte seine Strafe schon beinahe ganz abgesessen. Die hatten sie wegen guter Führung verkürzt. |178| Doch da ist er aus dem offenen Strafvollzug abgehauen. Ehe er getürmt ist, hat er hoch und heilig geschworen, dass er sich an mir rächen wollte. Er ist nicht der Typ, der alles vergibt und verzeiht.«
»Wen hat er denn umgebracht?«
»Seine Ex-Freundin. Er hat ihr in einem Wutanfall die Kehle durchgeschnitten.«
Jetzt war Honey nachdenklich geworden. Steve fuhr um den Circus herum und nahm dann die lange Straße, die abwärts in Richtung Lansdown führt.
»Du meinst, er will sich rächen? Er will auch dir die Kehle durchschneiden?«
»Nicht ganz. Deswegen hat er ja meine Kollegin überfallen. Er wollte mich treffen, indem er jemanden umzubringen versuchte, der mir nahesteht. Das war der Grund, warum ich mit Karen so spät abends noch joggen war. Wir haben versucht, ihn aus der Deckung zu locken. Wie gesagt, es hat sich ja auch gelohnt. Er hat wirklich geglaubt, dass sie meine Freundin ist. Das nehmen wir jedenfalls an. Mich kann er nicht kriegen, also überfällt er sie. Es war eine Warnung.«
Nun war die Eifersucht vollends verflogen, die Honey verspürt hatte, als sie Steve gesehen hatte, wie er mit der langbeinigen Blondine durch die Nacht joggte. Jetzt erfüllte sie ein anderer Besorgnis erregender Gedanke.
»Bin ich in Gefahr?«
Er murmelte etwas Unverbindliches. »Ich glaube nicht.«
»Aber sicher bist du dir nicht.«
»Er will ja mich treffen.«
Nun begriff sie, warum Steve sie neulich daran gehindert hatte, sich bei ihm einzuhängen. Falls jemand sie beobachtete. Falls Warren Price daraus die offensichtliche Schlussfolgerung ziehen würde. »Deswegen hast du mich wohl in letzter Zeit nicht sonderlich oft besucht.«
Er grunzte leise. »Ungefähr. Es ist mir nicht leicht gefallen, Babe, aber ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Karen hat ihn schneller als erwartet aus der Deckung gelockt.«
|179| Wieder reckte das grüne Monster Eifersucht sein Haupt. »Du hattest also doch was mit ihr?«
Sie bemerkte, dass sich ein Grinsen über sein Gesicht stahl. »Ja, Lauftraining. Gegen das Joggen hatte ich nichts
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