Mord zur Geisterstunde
finsteren Ecke stürzte sich ein Mann mit einer Wollmütze auf sie. Er hatte Kopfhörer auf den Ohren, und im Hintergrund kreischte seine Frau.
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Hell und klar dämmerte der Morgen und brachte die üblichen Probleme. Heute waren dem Chefkoch die Eier ausgegangen, und die brauchte er dringend fürs Frühstück. Also trottete Honey zum nächsten Feinkostladen und kaufte drei Dutzend frische Bio-Landeier. Smudger Smith war der Mann in ihrem Leben, dem sie es um jeden Preis recht machen wollte. Natürlich konnte man auch Familienmitglieder nicht ersetzen, aber die vergaben einem eher. Chefköche hingegen nicht. Der Arbeitgeber oder in ihrem Fall die Arbeitgeberin hatte sich an all ihre kleinen Macken und ärgerlichen Gewohnheiten anzupassen. Denn gute Chefköche waren rar.
Sobald Honey die Eier bei dem grummelnden Smudger abgeliefert hatte, ging sie Lindsey wecken.
»Willst du mit mir Detektiv spielen gehen?«
»Ist das gefährlich?«
Honey zuckte die Achseln. »Kann sein.«
Sie hatte noch einmal bei Steve Doherty nachgefragt. Hamilton George und Gattin waren in ein gemietetes Häuschen in Winsley, einem Dörfchen in den Außenbezirken von Bradfordon-Avon, umgezogen.
Lindsey gähnte und schwang die Beine aus dem Bett. »Klingt, als würde es Spaß machen. Wohin geht es denn?«
»Nach Winsley. Um mit Mr. Hamilton George über seine Online-Geschäfte zu sprechen – Verkauf von Adelstiteln, wie mir scheint, direkt für den Mülleimer.«
»Mh.« Lindsey gähnte fröhlich weiter.
»Ich warne dich. Seine Frau redet sehr viel. Deswegen nehme ich dich mit. Ich halte die Gattin beschäftigt, und du machst das Computerzeugs.«
|187| »Ah ja.« Noch ein herzhaftes Gähnen.
Honey stutzte. Sonst passte Lindsey doch gar nicht in die Kategorie der Null-Bock-Teenager. Selbst morgens war sie gewöhnlich frisch und munter. »Du siehst müde aus. Hattest du einen schönen Abend mit deinem Verehrer im Kilt?«
Lindsey nickte, lächelte und wechselte das Thema. »Und jetzt sag mir, wie ich dir bei deinem neuesten Fall helfen kann.«
Honey verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Lindsey wollte nicht über ihren Freund sprechen. Auch gut. Sie erzählte ihr alles über die Website »Nobel Present« und über Simon Taylor. »Es ist eine Art Franchise. Mehr weiß ich auch nicht.«
Lindsey versicherte ihr, damit würde sie schon klarkommen.
Honey grübelte, was das wohl für ein junger Mann war. Lindsey war eine echte Expertin, wenn es um Geschichte ging. In der Wahl ihrer Männer dagegen war sie wie ihre Mutter nicht so begabt. Es war für Honey eine böse Überraschung gewesen, dass ihre Tochter ein Verhältnis mit dem verheirateten Chefkoch Oliver Stafford gehabt hatte, der später einem spektakulären Mord zum Opfer fiel. Doch schließlich kann man nicht alles gleich gut können.
»Möchtest du frühstücken?«
»Ich schnapp mir einen Kaffee und seh dich dann draußen.«
»Wir fahren mit deinem Auto. Geht das in Ordnung?«
»Steht dir zur Verfügung, Mutter. Ich geh es holen.«
Am Empfang war es ungewöhnlich ruhig. Anna hatte die meisten Rechnungen für die abreisenden Gäste schon vorbereitet. Aber das war nicht alles, was zu tun war. Auch Mary Jane war nirgends zu sehen. Das war eher ungewöhnlich. Vielleicht hatte sie ganz gegen ihre sonstigen Gepflogenheiten einmal verschlafen, überlegte Honey.
Sie wandte sich an Anna, die inzwischen im sechsten Monat schwanger war und mit ihrem Bauch beinahe nicht mehr hinter den Empfangstresen passte. »Ist Mary Jane nicht da?«
»Nein. Die ist mit Lindsey rausgegangen. Sie hat sich lebhaft mit ihr unterhalten.«
Ein kalter Schauer überlief Honey. Sie hatte sonst eigentlich |188| nie Vorahnungen, aber jetzt war sie sicher, dass gleich irgendetwas Schreckliches geschehen würde. Und sie konnte sich auch schon lebhaft vorstellen, was das sein würde.
Sie stand draußen auf dem Bürgersteig und hielt im Verkehr Ausschau nach Lindseys gelbem VW. Weit und breit kein Zitronengelb zu sehen, statt dessen Rosa. »O nein!«, murmelte sie.
Da kam Mary Janes rosafarbener Cadillac, den sie alle liebevoll das Mädelmobil nannten, vorgefahren. Die alte Dame hatte ihn zusammen mit einigen anderen Dingen, die ihr lieb und teuer waren, über den Atlantik schicken lassen. Otto Normalverbraucher stellt sich einen Cadillac ja immer als ein langes, niedriges Gefährt mit riesigen Heckflossen vor. Mary Janes Auto jedoch war ein Cabriolet, eine elegante Alternative zum
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