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Mord

Mord

Titel: Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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kannte die nicht, ein fünfjähriges Mädchen und ein gleichaltriger Junge. Er unternahm nichts, sprach die Kinder nicht an, blieb in der Gegend, überlegte, ob er irgendwo was zu trinken holen sollte. Die Kinder waren da, sie hatten aber nichts zu bedeuten. Am frühen Nachmittag waren die Kinder auf einer Wiese, die von dichten Büschen umstanden war, sodass man dort geborgen war wie auf einer Waldlichtung. Er kam zufällig auf die Wiese, hatte sich keine Gedanken gemacht, wo die Kinder abgeblieben waren. Er sagte zu Sabine, dem Mädchen, dass er ihr einen toten Hasen zeigen wollte, den er im Gebüsch gefunden hatte. Ihr Freund Klaus-Peter war nicht interessiert, er machte sich gerade einen Ast zurecht; er sollte die beiden Fahrräder der Kinder bewachen und blieb zurück.
    Wir sind in fünf Minuten zurück, teilte er dem Fünfjährigen mit. Dann ging er mit Sabine ins Gebüsch und beging in einer kleinen Lichtung die Tat, bis das Mädchen ganz kaputt war. Dann lief er weg, fuhr zum Stuttgarter Platz, kaufte dort eine Fahrkarte und fuhr mit dem Bus über die Interzonenstrecke nach Hamburg. Klaus-Peter war es, als Sabine nicht zurückkam, langweilig geworden, und er lief zu den anderen Kindern, mit denen er weiterspielte. Bei Gericht sagte Wolkow, an die eigentliche Tat könne er sich nicht erinnern, nur daran, wie das bereits tote Kind vor ihm lag.
     
    Und dann die letzte Tat. Wolkow konnte sich nicht erklären, was das sollte. Wie das kam. Was die Schnitte an dem toten Jungen bedeuten sollten. Der Gutachter sagte, es sei ein aggressiver Durchbruch gewesen, vielleicht mit punktuellem Sadismus. Der dreimal im Leben kam und gleich wieder ging? War er sexuell erregt gewesen? Er hatte sich nie für Männer interessiert, in all den Haftjahren wäre Gelegenheit genug gewesen. Auch habe er sich nie von Kindern angezogen gefühlt, also sexuell. Er habe Kinder gemocht, kein Problem gehabt, mit denen umzugehen, auch in der WG .
    Er war an dem Nachmittag bei Karstadt am Leopoldplatz einkaufen gewesen, tiefgefrorenes Gulasch, das hatte er in seiner Küche aufgesetzt. Er trank im Laufe des Tages einiges, aber nicht übermäßig viel, Bier gar nicht, da vertrug er die viele Flüssigkeit nicht. Seit der Haftentlassung hatte er harmlose, aber lästige Herzstolperer, Rhythmusstörungen. Er hatte etwas vergessen, Kartoffeln, war noch mal runter, da traf er die beiden Jungens. Ein etwas Pummeliger mit dunklen Haaren so wie er selbst und ein Blonder. Bloß einer kam mit hoch, der andere sagte, er warte unten.
    «Ick hab ihn wohl angefasst, da hat er sich wohl gewehrt und gesagt ‹Altes Schwein› oder so in der Richtung. Und denn hab ick wohl die Beherrschung verloren. Weeß nich, ob ick ihn zuerst gewürgt habe oder mit dem Messer zugestochen. Unwahrscheinlichen Aggressionsstau muss ick jehabt haben. Worüber ick wütend war? Vielleicht über mich selber. Na, mit mir lief allet schief, die Arbeet, die neue Wohnung, immer nur Nackenschläge. Ick bin einfach voll ausgerastet, das hat mit sexuell überhaupt nischt zu tun. Ja, es stimmt, ich hab den ans Geschlechtsteil gefasst. Ich weiß nicht, warum, das ist ja, was ich selber jetzt suche. Natürlich war ick erregt, aber nicht geschlechtlich. Das ist, als wennse keine Luft kriegen, als wenn das Herz durchschlägt, feuchte Hände, das ist alles vollkommen fremd im Grunde genommen.»
    Das war das Ende. Es war schon das Ende, auch wenn noch die lebenslange Haft kam.
     
    Schließlich ist er entlassen worden; ich habe dazu beigetragen, dass er rauskam. Seine Entlassung hat er nur drei Jahre überlebt, drei Jahre, in denen ich nicht geglaubt habe, dass er noch mal etwas macht, aber eine Sorge bleibt immer, dass es irgendwann doch eine Katastrophe gibt, dass Dinge zusammentreffen, die unvorhersehbar waren. Als mir ein Richter der Strafvollstreckungskammer, überraschend und aus Freundlichkeit, seinen Tod und das Todesdatum mitteilte, war es, bei allem höflichen Bedauern, doch so etwas wie eine Entwarnung, nicht nur für mich.
    Drei Jahre sind nicht viel. Vielleicht war das Leben draußen, in Freiheit, auch nicht mehr viel wert. So lange hatte er darauf gewartet, und dann war es da, das Leben in Freiheit. Er war nun über 60 , hatte ein kleines Apartment und keine Puste mehr, kein Geld und keine Freunde. Solange er in Haft war, hatte sein Leben einen Sinn, er zahlte für das, was er getan hatte. Als er entlassen wurde, war er allein mit seiner Schuld, die keinen Deut geringer geworden war,

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