Mord
und mit seiner Schmach, ein Kindermörder zu sein.
Fritz Wolkow ist gestorben, ohne zu sagen, warum er das getan hat. Warum er die Kinder umgebracht hat. Vollkommen fremd war das, im Grunde genommen, hat er sich gesagt. Schon seit der ersten Tat war er ausgestoßen, allein mit dem Geheimnis seines Verbrechens, ein Fremder, nur noch zu Gast in unserer Welt. Illusionen von Hafturlaub: unmöglich, noch in eine Liebe zu entkommen. Die Nähe eines Kindes: unendlich weit entfernt.
Ende der Demut
Eigentlich waren sie ein perfektes Paar, wenn sie so zur Tür hereinkamen, gewandt, gepflegt und gutaussehend; es fehlte nur, dass sie lässig in einem sandfarbenen offenen Roadster vorfuhren, mit Lederhaube und Staubbrille. Und fast wären sie ein Prinzenpaar geworden.
Elisabeth Berg stammte aus Thüringen, lebte aber schon seit Kindergartenzeiten in Westfalen. Reinhold Tanner war Rheinländer, kommunikativ, charmant, sportliche Erscheinung, und er verdiente gut; durchs Studium und seine Ehefrau war er in Münster gelandet, wo er eine große Apotheke betrieb. Elisabeth war Ende dreißig, als er sie kennenlernte; sie war nicht sehr groß, aber attraktiv, blond und intelligent, so ein bisschen der Jil-Sander-Typ. Nur an der linken Ohrmuschel fehlte ein kleines Stück, ein Unfall in der Kindheit. Die gutaussehende, erfolgreiche Hotelkauffrau mit sicherem Auftreten passte bestens zu ihm, obwohl sie sechs Jahre älter war als er und noch nicht geschieden.
Er aber auch noch nicht. Als Reinhold und Elisabeth sich das allererste Mal sahen, bei einer Feier im Karnevalsverein, lebte er sogar noch zusammen mit seiner Frau, und die war mit. Er wollte sich auch gar nicht unbedingt scheiden lassen, aber sie. Tanner bestürmte dann Marianne, Elisabeths beste Freundin, die auch im Karnevalsverein war, er wolle diese Frau Berg unter allen Umständen näher kennenlernen, er müsse sie ganz unbedingt wiedersehen. Marianne vermittelte, und die beiden trafen sich zu einem schönen Essen. Daraus wurde eine gemeinsame Nacht, Elisabeth war Feuer und Flamme, doch dann folgte erst einmal eine Pause, eine Fortsetzung war nicht vereinbart worden. Man war schließlich erwachsen und abgeklärt und neigte nicht zum Klammern oder so etwas.
Aber nach zwei Wochen trafen sie sich doch wieder, die Begegnungen häuften sich, und dann lebte Reinhold praktisch drei Monate bei Elisabeth. Sie hatte sich bereits zwei Jahre zuvor von ihrem Mann getrennt und diesem die Wohnung gelassen; für sich hatte sie ein Apartment gemietet, ohne ihre Tochter, die kurz vor dem Abitur stand und aufs Internat ging. Dann hatte Tanners Frau eine neue Wohnung gefunden und zog zu Hause aus; Elisabeth trat an ihre Stelle und zog ein. Ihr Engagement in dem gepachteten Landhotel, dem sie Erlebnischarakter zu verleihen versucht hatte, gab sie ein Jahr später auf, auch wegen der vielen Fahrerei, und Tanner half ihr, ihre Schulden und Steuerrückstände zu begleichen; es war nicht ganz wenig, aber das machte ihm nicht viel aus.
Zugleich regelten die Anwälte Tanners Scheidung. Da ging es schon um mehr Geld, so eine Scheidung konnte er sich nicht noch einmal leisten, und die Streitigkeiten waren unerfreulich, auch die plötzlichen Animositäten mit der Familie seiner Frau.
Kurzum: Wieder heiraten wollte Reinhold Tanner nicht, und die Regeln der nächsten Partnerschaft sollten von vorneherein klar sein, nämlich den Realitäten und Notwendigkeiten eines männlich erfolgreichen Lebens entsprechen. Nicht schriftlich und per Vertrag, aber mündlich stellte er klar: Ihr Zusammenleben sollte geprägt sein von Toleranz; was er nach dieser Ehe brauche, sei eine Partnerschaft der lockeren Art, bei der jeder seine Freiheiten nach Belieben ausleben konnte. Er wollte keine Vorrechte, beide sollten die gleichen Rechte haben. Man müsse sich solche Erlebnisse, fügte er hinzu, nachdem er sich kurz geschnäuzt hatte, allerdings nicht unbedingt unter die Nase reiben. Dann ließ er sich in den Sessel fallen, hinter dem er während seiner Ansprache gestanden hatte, einen soeben geöffneten Brief seines Anwalts noch in der Hand.
Elisabeth, die währenddessen mit der Fernbedienung für den Fernseher auf dem Sofa gesessen hatte, äußerte keine Einwände. Es lief gut mit ihnen, sie hatten fast täglich Sex, und anders als jahrelang bei ihrem Mann hatte sie auch richtig Spaß daran. Mit ihrem Mann hatte sie in den letzten Jahren kaum noch geschlafen, er hatte sie als frigide beschimpft, und am Ende hatte sie
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