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Mord

Mord

Titel: Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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der Mitte, im Osten.
     
    Im Landstädtchen Lassan lebten die drei Brüder Bardelow, die waren so etwas wie Bonanza für Arme, aber sie hatten keinen starken Vater wie Ben Cartwright, der dafür sorgt, dass am Ende alle im Sonnenschein stehen, lachen und sich freuen. Sie wohnten mit ihren Eltern und fünf Schwestern in einem alten Häuschen, Lassan lag nicht am Fuß der blauen Berge, sondern am Peenestrom, wo dieser sich ausweitet zum Achterwasser, das Usedom vom Festland trennt. Weiter im Süden war die Landschaft flach wie ein Backblech, aber hier war sie wieder sanft gewellt, und im Mai leuchtete der gelbe Raps aus riesigen Feldern. Fernsehserien aus dem Westen sollte man nicht schauen, hier im Nordosten gab es sowieso keinen Empfang von Westsendern.
    Das sozialistische Vaterland hatte es noch nicht ganz vermocht, soziale Unterschiede einzuebnen und bedeutungslos zu machen. Über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sollten die Bauern zu Arbeitern werden und Klassengegensätze verschwinden, aber es gab immer noch die ganz oben, die in der Mitte, die unten und die ganz unten. Der X . Parteitag der SED im April 1981 verordnete dem Volk Optimismus und bat um mehr Arbeitsdisziplin: Das kam im Fernsehen. Die drei schauten aber auch kein Ostfernsehen, ihr tagespolitisches Interesse lag deutlich unter null, vor der Glotze hocken durften die Mädchen. Die drei zogen los nach Feierabend.
    Franz Bardelow war der ruhigste und vernünftigste der Brüder, relativ betrachtet; das war nicht immer so gewesen, aber inzwischen war er gereift und schon 26 . Dann kam Gerd mit 21 , Jan Peter war gerade mal 16 . Wenn die drei zu Fuß in den Ort einritten, nahmen die alteingesessenen Bürger von Lassan die Gardinen beiseite und schauten ihnen hinterher, mit zusammengekniffenen Augen, missbilligend. Was wohl wieder kommen würde. Randale, eine Schlägerei, vor allem von dem Jüngsten. Denen fehlte ein vernünftiger Vater.
    Vater Bardelow war zwar auch so etwas wie ein Cowboy, Rinderzüchter, Mitglied der LPG , aber dort galt er als Schwätzer und Drückeberger, der sich ständig krankschreiben ließ. Seine Söhne kümmerten sich kaum noch um ihn, seitdem sie groß genug waren, dass er sie nicht mehr prügeln konnte. Jetzt ließen sie ihn reden; im Zweifel hatte Franz das Sagen. Anders als sein Vater konnte er anpacken, er war klein, aber drahtig und zäh. Arbeit machte ihm nichts, er konnte sich anstrengen. Er redete nicht viel, das war hier im äußersten Nordosten der Republik auch nicht üblich. Aber er war nicht dumm. Wenn er doch redete, war es nicht immer zu seinem Vorteil.
    Familie Bardelow kam nicht aus Lassan, sie waren zugezogen, die Eltern und neun Kinder. Der älteste Sohn verschwand bald, ging zur Armee und kam danach nur selten wieder. Blieben drei Jungs und fünf Mädchen. Franz war fünfzig Kilometer landeinwärts im Norden des Bezirks Neubrandenburg geboren, dort hatten seine Eltern eine Zeitlang gewohnt. Damals arbeitete sein Vater noch im erlernten Beruf als Zimmermann, die Mutter bei der LPG , in der Landwirtschaft, exakt gesagt im Stall, Kälberaufzucht. Sie hatte schon einiges miterlebt an politischen Einfällen zur Produktivitätssteigerung, das Debakel nach 1958 , als sie das Vieh auch im Winter in offenen Stallungen auf der Weide lassen sollten, nach Vorbildern aus dem sonnigen Süden der Sowjetunion. Sie hatte ihr Maul nicht halten können, war renitent und frech, sagten die Vorgesetzten, und sie war jedes zweite Jahr schwanger. Ihr Mann war unzuverlässig, außer beim Zuschlagen; fürs Prügeln musste er noch nicht einmal getrunken haben, und jeder der Söhne hatte ihm schon mal den Tod gewünscht. Als Zimmermann wollte man ihn nicht mehr haben und steckte ihn in die LPG . Auch da war er meistens krank, fälschte sogar einen Krankenschein.
    Schließlich kam die Obrigkeit zu dem Entschluss, dass die Familie nicht bleiben könne; wenn sie denn angemessenen Wohnraum haben wolle, möge sie umziehen nach Lassan, da sei ein passendes Häuschen mit zwei Stockwerken frei geworden, etwas Renovierungsbedarf bestehe, und sie sollten sich bei der dortigen LPG melden. So geschah es, schnurgerade fuhr man dahin, immer im Wechsel leicht ansteigend, dann wieder hinab, es gab einen einzigen Knick, dann ging es schnurgerade weiter, hügelaufwärts, hügelabwärts, erst der Wald, dann die Felder, und dann war man in Lassan, 1800  Einwohner. Die Häuser waren nicht hoch, ein bis zwei Stockwerke und darauf die

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