Mord
Freigänger bei einer großen Firma arbeitete, wurde er wegen Fluchtgefahr wieder in den geschlossenen Vollzug verlegt, weil die Ausländerbehörde seine Ausweisung für den Zeitpunkt der eventuellen Haftentlassung beantragte. Sinngemäß stand in der Verfügung, er habe als Ausländer sein Gastrecht in Deutschland schändlichst missbraucht, indem er eine deutsche Frau getötet habe; seine weitere Anwesenheit sei der Bevölkerung hier nicht zumutbar. Nach langem Hin und Her und einer Petition beim Landtag wurde ihm ein Bleiberecht zuerkannt.
Ich traf Gerwin Moss nach 15 Haftjahren. Zu diesem Zeitpunkt galt er immer noch als Tatleugner. Nur einem Jesuitenpater hatte er 18 Monate zuvor die Wahrheit gestanden. Inzwischen hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass auch zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte nach mindestens 15 -jähriger Verbüßung in Freiheit entlassen werden konnten, wenn sie nicht mehr gefährlich waren. In der Haftanstalt war man der Auffassung, dass die Tat wohl einer nicht wiederholbaren, besonderen Beziehung geschuldet war; durch das anhaltende Leugnen seien aber das tatsächliche Geschehen und die wahre Geisteshaltung des Verurteilten nicht hinreichend zu beurteilen.
Insofern war es in diesem Moment für ihn sicher klüger zu gestehen, als weiter zu leugnen. Die Mutter, der er mit dem Geständnis Schmerz bereitet hätte, lebte nicht mehr; allerdings gab es andere Menschen, die an ihn glaubten und deren Zuwendung er riskierte. Entscheidend für sein langes Leugnen war aber, wie er berichtete, dass er selbst nicht bereit war, die Strafe als die gerechte oder gar notwendige Ahndung der Tat anzusehen. Sein Geständnis war daher auch kein reuiger, überfließender Herzenserguss, sondern wurde von ihm ruhig und überlegt vorgetragen. Wie schon den psychiatrischen Gutachtern im Erkenntnisverfahren imponierte auch mir, dass seine Worte nur sehr schwach von so etwas wie Mimik oder Gestik untermalt wurden; er wirkte emotionsarm, aber erstaunlicherweise nicht kalt. Was er in jener Nacht der Rache, die um 21 Uhr nach dem Einschlafen der Frau begonnen hatte, an Hass, Verachtung und Zurückweisung in eindrucksvollen Bildern auszudrücken imstande gewesen war und wen alles er hätte treffen mögen, kam nicht mehr zu Sprache. Aber ansatzweise doch die Schwäche, aus der so viel Wucht erwuchs.
Gleich zu Beginn der Beziehung, erzählte Gerwin Moss, war seine Frau zur Kur nach Königstein gefahren. Ein Arzt hatte gesagt, ihre physischen Leistungswerte lägen zwar im Normbereich, aber alle an der untersten Grenze. Immer wieder war sie krank gewesen, häufiger als gesund. Gestritten hatten sie sich nicht viel, eigentlich hatten sie meist die gleichen Ansichten. Aber sie litt darunter, dass sie nicht so konnte in der ehelichen Liebe. Sie beneidete ihn, dass er damit so wenige Probleme hatte und immer Lust verspürte. Sie war überzeugt, sie habe ein Trauma, weil ihre Eltern sich immer gestritten hatten und sie die als Kind einmal beim Sex gesehen und gedacht hatte, auch das sei Kampf und Streit.
Als Petra wieder einmal krank war, hatte Gerwin gedacht, am besten wäre, wenn sie stirbt. Das wäre eine Erlösung für beide. Und noch mehr für das Kind, das ja ganz besonders darunter litt, dass die Mutter immer wieder kränkelte und zur Kur war. Der Junge hatte, glaubte Moss damals, eine bessere Mutter verdient, eine, die da war und für ihn sorgte. Irgendwann dachte er: Warum nicht etwas nachhelfen? Zwar lehnte er diesen Gedanken sofort innerlich ab, aber er meldete sich immer wieder. Und mit der Zeit wurden die Bedenken schwächer.
Moss sagte, er spreche nicht gerne darüber, er schäme sich. Sicherlich habe dieser Prozess ein bis zwei Jahre gedauert. In der Haft, bei Thomas Mann im
Zauberberg
habe er gelesen, man solle dem Tod keine Macht über die eigenen Gedanken geben. Er habe das getan damals.
Gerwin Moss schaute mich an, nachdenklich, ernsthaft. Dann sprach er weiter, ganz sachlich, wie ein Ingenieur, der mir ein technisches Problem erläutert: Schließlich habe er konkrete Überlegungen angestellt, er habe ihr ja nicht wehtun wollen. Aufgrund seiner früheren Beziehung zum Schießen hatte er gedacht, dies sei die beste Art. Als sie im Krankenhaus lag, fuhr er in die Schweiz, wo man ohne Ausweis ein Gewehr bekommen konnte. Am Ende verwendete er das Gewehr doch nicht, denn er kam zu der Überzeugung, dass man nur auf eine Weise das Auffinden der Tatwaffe sicher ausschließen konnte –
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