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Mord

Mord

Titel: Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ludwig Kröber
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zwei Schließer, Tegel – Heimat, die ich meine! Du glaubst es nicht. Wie geht’s euch denn so? Lange nicht mehr da gewesen. Ja, ist das eine Freude!»
    Der im Endeffekt unbekannt gebliebene Mann in Sportkleidung aus Fallschirmspringerseide in farblich lebhaftem Design, nennen wir ihn Pelle, wurde nicht nur unhöflich, sondern nachgerade beleidigend, und dies in lautem Ton, sodass alle, zumindest in dieser Hälfte des U-Bahn-Wagens, mithören konnten. Dem Kollegen Köhler, der schon manches Dienstjahr hinter sich gebracht hatte und wusste, dass man viel mitmacht in diesem Beruf, aber eben auch Arbeitsplatzsicherheit hat, wurde es ein bisschen viel. Wo man doch nun zivil unterwegs war. Man merkte, wie sich seine Gesichtshaut durch einen Blutdruckanstieg rötete.
    Siegfried hingegen verteilte seine 98  Kilo über beide Sitze, damit dieser Spinner, der gerade dabei war, ihm seine Lockerungen zu vermasseln, sich nicht auch noch neben ihn setzte. Aber der blieb lieber stehen, neben den beiden Beamten, hielt sich oben an der Querstange fest, beugte seinen Oberkörper samt Kopf immer wieder tief runter, als hinge er an seinem Arm, und prustete den beiden mit seinem Bieratem Frechheiten in die Ohren. Siegfried drehte unbeteiligt sein schlichtes, nach Möglichkeit ehrliches Gesicht mit dem kräftigen Kinn zum Fenster, konnte auch jetzt den bei ihm so häufigen Ausdruck eines gewissen ratlosen Erstaunens nicht unterdrücken, schaute hinaus in das zuckende Dunkel und hoffte, dass sie bald zur Umsteige-Station kamen. Nur ja kein Stunk auf dem Weg zum Antigewalttraining.
    Alle drei standen schon eine Minute zu früh auf und gingen nach dem zischenden Öffnen der Türen hinaus auf den Bahnsteig. Pelle, der nichts weiter vor und sich gerade so schön warmgelabert hatte, folgte ihnen. Der Vollzugsbeamte Köhler wechselte einen Blick mit seinem jungen Kollegen, beide beschleunigten ihren Schritt und waren Siegfried (der Nachname tat seit Jahren nichts mehr zur Sache) dankbar, dass er ebenfalls Tempo hielt. Zügig ging es zum anderen Bahnsteig. Siegfried hatte gelernt, dass man immer auch einen Plan B haben musste. Bei ihm war Plan B meist: Weiter mit Plan A, aber ganz entschieden und mit Kawumm. Diesmal war Plan B: Auf keinen Fall Stunk auf dem Weg zum AGT . Auf dem anderen Bahnsteig machten sie abrupt halt, der andere Zug war noch nicht da, « 3  Minuten», sagte die elektrische Anzeige.
    Nun traf auch Pelle ein, schlenkernden Schritts: «Hey, Leute, warum so eilig, und ist ja nu auch die ganz falsche Richtung.»
    «Halt’s Maul», meinte Köhler genervt.
    «Wie, was, willste mir hier Vorschriften machen, Schließer, Schlüsselschlepper? Hier is nicht Knast, dit is hier ein freies Land, wenn hier einer die Klappe hält bis du det.»
    Unter solchen Worten trat Pelle sehr nahe an Köhler heran, sodass dieser erneut einen deutlichen Geruchseindruck erhielt. In diesem Moment wurde Pelle derb nach hinten gerissen. Dem jungen Kollegen war der Kragen geplatzt, und Pelle wäre rückwärts zu Boden gestürzt, wenn Siegfried mit seinen Pranken den Fall nicht rechtzeitig gestoppt und den Mann wieder in die Senkrechte gestellt hätte. Die U-Bahn fuhr ein, Siegfried brüllte: «Wir gehen rein, und du bleibst hier.»
    Pelle, der ihn bis dahin gar nicht auf der Rechnung hatte, blieb verdutzt zurück; Siegfried hatte sich in der Tür aufgebaut, die beiden Beamten waren hinter ihm verschwunden. Die Bahn fuhr ab, und Siegfried setzte sich, großer Gefahr soeben entronnen, beugte sich vor zu den beiden, dass er erst das eine, dann das andere Gesicht gut fixieren konnte, und sprach mit kräftiger, empörter Stimme: «Ick fasset nich! Wegen euch hätt ick beinah meine Lockerung verlorn, wa! Randale auf dem Weg zum Antigewalttraining!»
    Die Beamten blickten befangen aus den Seitenfenstern, sagten nichts und schämten sich ein wenig. Siegfried dachte nach und stellte fest, dass es komisch zuging auf der Welt. Er auf dem Weg zum Gewalttraining, und die Beamten prügeln sich beinahe. Und am Ende hätte er die Zeche bezahlen dürfen, so wie es ja eigentlich immer gelaufen war. Er beschloss, sich diesen Vorfall zu merken und daraus zu lernen.
    In der Anstalt hieß das AGT einfach nur «Gewalttraining». Das war lustig, denn da musste er eigentlich nicht hin. Gewalt konnte er, schon lange. Gewalt ist in Wirklichkeit nie lustig. Siegfrieds Gewalt war brutal, unbeirrbar, gnadenlos. So war er eigentlich immer gewesen. Er war sicher, dass es notwendig war,

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