Mord
gefühlt. Sie war überzeugt, man hatte sogar ein Mikrophon in ihren Radioapparat eingebaut. Sie entdeckte, dass sie im Mittelpunkt eines Spionagesystems stand und alle Menschen durchschauen konnte. Von Gott und vom Führer war sie für große Dinge auserwählt. Durch ihre Gebete zwang sie Édouard Daladier, den letzten Widerstand am Westwall gegen die Deutschen einzustellen. Ihre Hauptfeindin aber war die Filmschauspielerin Olga Tschechowa, die sie als Spionin entlarvte, sonst wäre sie von ihr vernichtet worden. Sie beklagte sich über schwarze Theologen, die in der Klinik versteckt seien und sie mit vergifteter Limonade töten wollten. Sie hat nie wieder Limonade getrunken, weil der sonderbare Geschmack auch später nicht wegging. Nach einer Weile wurde sie ins Landeskrankenhaus verlegt, schließlich als gebessert entlassen. 1940 wurde ihre Unfruchtbarmachung beschlossen. Aber sie hatte ja ihr Kind.
Der Kommissar kapitulierte innerlich. Das hatte hier alles mit dem Mordfall Peter Herzog nichts mehr zu tun. Es ging um das unglückliche Leben der geschiedenen Putzfrau Magdalene Fürstner geborene Dollner aus Werl, die in der Nazizeit geisteskrank geworden ist. Das war keine gute Zeit gewesen, um geisteskrank zu werden. Aber musste er sich das alles anhören? Vielleicht, wenn sie ihr eigenes Leid ausgebreitet hatte, würde sie dann etwas Vernünftiges über ihren Sohn sagen, wie alles gekommen war und wie man sich das erklären konnte. Dazu sollte die Vernehmung doch dienen, dass man hinterher verstand, wie es so hatte kommen müssen. Aber nichts verstand man hier: Sie sprach Französisch und war Hausdame bei einem Juden, arbeitete im Schuhgeschäft, heiratete einen Hallodri und wurde geisteskrank. Und der Tatverdächtige war beinah schon gleich nach der Geburt gestorben; doch statt dass sie erzählte, wie es mit dem Arm von dem Baby weitergegangen war, der abgeschnitten werden sollte, war sie nun in der Anstalt.
Eigentlich aber hatte Magdalene nur eine Botschaft: Man kann die Männer nicht verstehen. Fürstner nicht, diesen Triebtäter, der hinter den Weibern her war, schlimmer als ihr eigener Vater mit den beiden unehelichen Kindern. Und Hinrich nicht, den schon gar nicht, den hat sie nie begriffen. Er war ja nie da, immer war er weg. Aber warum sollte sie auch viel über ihn wissen, er war ein normales Kind, nichts Besonderes war an ihm.
Sie erzählte weiter, dass sie 1944 noch mal in der Nervenklinik war, aber sie hatte Glück, da war das mit der Euthanasie schon vorbei. Die Fürstnerin, was Fürstners neue Frau war, habe sie später immer auf jedem Arbeitsplatz denunziert, dass sie in der Heilanstalt gewesen sei. Aber entscheidend sei, dass sie wieder ganz gesund geworden ist. 1948 war die Ehe mit Fürstner geschieden worden, er hatte wieder Ehebruch begangen, und er wollte bei der neuen Frau bleiben.
Nach der Scheidung, erzählte sie, hätten sie später noch mal zwei Jahre zusammengelebt, aber nicht mehr intim. Weil ihn die Behrens nicht mehr haben wollte, weil er immer Hunde und Katzen geschlachtet und gegessen hatte. Sie musste die Tiere braten und fein abschmecken. «Der letzte Hund war ein schöner Boxer von dem Ehepaar Povzik in einem Behelfsheim in Hörde. Den Hund hat ihm der Breckler gebracht, der schuldete ihm Geld. Den großen fetten Peter, den Kater vom Bürgermeister Schmitt, hat er auch gefressen. Die Polizei im Stadtteil hat ihn ja gefürchtet.»
Der Kommissar versuchte nun doch einzugreifen und erklärte, es wäre ganz gut, wenn sie jetzt von ihrem Sohn erzählen könnte, in gewisser Weise gehe es ja besonders um den. Ja, gern, meinte Frau Fürstner, aber der hätte ja auch von den Hunden und Katzen gegessen, obwohl man davon dieses Gesicht bekam. Das war, als er das erste Mal aus dem Heim kam. Ursprünglich habe ihre Mutter Hinrich aufgezogen, bis sie dann starb, und bald darauf kam auch die Scheidung. Damals war Hinrich 8 . Sie selbst war ja immer am Arbeiten, habe nach dem Krieg das Klempnergeschäft von Fürstner hochgebracht, weil sie schreiben konnte und Buchführung. Hinrich besuchte in Hörde die Volksschule. Obwohl er oft Schläge von Fürstner bekam, hing er sehr an seinem Vater, stärker als an ihr. Nach der Scheidung war Hinrich zunächst in ein katholisches Kinderheim nach Wettringen gekommen. Da habe ihn der Pfarrer sehr gelobt. Aber als Fürstner dann wieder bei ihr lebte, holte er den Jungen nach Hause.
Schließlich kam Hinrich in ein Heim im Rheinland. Magdalene
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