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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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das wahr?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Aber Sie und Clara haben doch gerade …«
    »Wir haben nicht. Das schwöre ich.«
    »Bestimmt nicht?«
    »Bestimmt nicht.«
    Nora begann schwer zu atmen, zu schwer. Ihre sichtbare Kleidung wirkte nicht zu eng, aber anscheinend trug sie darunter etwas Einschnürendes. Ihre Atmung konzentrierte sich völlig auf den Bereich über dem Brustbein. Aus Sorge, sie könnte in Ohnmacht fallen, führte ich sie rasch zur Eingangstür und öffnete sie. Sie brauchte frische Luft. Auf der anderen Straßenseite sah man den gesprenkelten Schatten des Gramercy Park. Nora trat hinaus. Ich deutete an, dass man ihren Eltern Bescheid sagen müsste, wenn sie das Haus verließ.
    »Wozu?«, fragte sie. »Wir können doch einfach in den Park gehen.«
    Wir überquerten die Straße, und an einem der schmiedeeisernen Tore zog Nora einen schwarz-goldenen Schlüssel aus ihrer Handtasche. Als ich ihr mit einer höflichen Geste durch das Tor half, entstand eine verlegene Pause: Ich musste entscheiden, ob ich ihr beim Gehen weiterhin meinen Arm anbieten sollte. Glücklicherweise gelang es mir, dies zu vermeiden.
    Therapeutisch gesehen saß ich ganz schön in der Tinte. Ich hatte keine Angst um mich selbst, obwohl es schon bemerkenswert war, dass meine Gefühle für dieses Mädchen anscheinend völlig gefeit waren gegen die Tatsache, dass sie möglicherweise labil oder gar geisteskrank war. Wenn Nora sich die Brandwunde selbst zugefügt hatte, gab es zwei Möglichkeiten. Entweder hatte sie es mit voller Absicht getan und belog die Welt, oder sie hatte es in einem Zustand hypnotischer oder somnambuler Art getan, der vom Rest ihres Bewusstseins abgespalten war. Alles in allem war mir die erste Alternative lieber, aber keine von beiden war besonders erfreulich.
    Ich bedauerte nicht, ihr meine Gefühle gestanden zu haben. Die Umstände hatten mir keine andere Wahl gelassen. Aber wo meine Liebeserklärung noch ehrenhaft war, wäre ein entsprechendes Handeln das schiere Gegenteil davon gewesen. Selbst der gemeinste Schurke hätte die Lage dieses Mädchens nicht ausgenutzt. Jetzt kam es darauf an, ihr das klarzumachen. Ich musste mich aus der Rolle des Liebhabers, in die ich gerade hineingestolpert war, herauswinden und wieder zu ihrem Therapeuten werden.
    »Miss Acton«, begann ich.
    »Wollen Sie mich nicht Nora nennen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich immer noch Ihr Arzt bin. Sie können nicht Nora für mich sein. Sie sind meine Patientin.« Ich war mir nicht sicher, wie sie meine Worte aufnehmen würde, aber ich fuhr trotzdem fort. »Erzählen Sie mir, was gestern Nacht passiert ist. Nein, warten Sie. Gestern im Hotel haben Sie gesagt, dass Sie die Erinnerung an den Überfall vom Montag wiedererlangt haben. Erzählen Sie mir zuerst, woran Sie sich in diesem Zusammenhang erinnern.«
    »Muss das sein?«
    »Ja.«
    Sie fragte, ob wir uns setzen konnten, und wir suchten uns eine Bank in einem abgeschiedenen Winkel. Noch immer wusste sie nicht, so berichtete sie, wie es angefangen hatte und wie sie ins Schlafzimmer ihrer Eltern gekommen war. Dieser Teil ihrer Erinnerung fehlte weiterhin. Sie wusste nur, dass sie im Dunkeln gefesselt worden war. Sie stand, und ihre Handgelenke waren über dem Kopf an etwas festgebunden. Sie trug nur noch ihren Schlüpfer und ein dünnes Hemdchen. Alle Vorhänge und Jalousien waren zugezogen.
    Der Mann war hinter ihr. Er hatte ein weiches Stück Stoff – vielleicht aus Seide – um ihre Kehle geschlungen und zog es so fest zusammen, dass sie nicht mehr atmen und schon gar nicht schreien konnte. Außerdem schlug er sie mit einem Gurt oder einer Reitpeitsche. Es brannte, war aber nicht unerträglich – mehr wie wenn einem der Hintern versohlt wird. Das Tuch um ihren Hals machte ihr Angst; sie dachte natürlich, dass er sie umbringen wollte. Doch jedes Mal wenn sie einer Ohnmacht nahe war, löste er den Würgegriff ganz leicht, damit sie wieder Luft bekam.
    Dann wurden die Schläge jedoch fester. Sie wurden so schmerzhaft, dass sie glaubte, es nicht mehr aushalten zu können. Schließlich ließ er die Peitsche fallen und trat so dicht hinter sie, dass sie seinen schweren Atem auf den Schultern spürte. Er berührte sie mit der Hand. Sie sagte nicht, wo, und ich fragte nicht. Gleichzeitig fühlte sie etwas – »etwas Hartes« – an der Hüfte. Der Mann stieß ein grässliches Ächzen aus, und dann machte er einen Fehler: Die Schlinge um ihren Hals wurde auf einmal schlaff. Sie holte

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