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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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zu tadeln – als wäre sie diejenige, die sich etwas zuschulden hatte kommen lassen. Und das hatte sie ja auch: Sie hatte sein kostbares Arrangement mit Mrs. Banwell bedroht.
    »Stellen Sie sich vor«, setzte Mrs. Banwell hinzu, »wie es für einen Mann wie Harcourt Acton ist, wenn ihm etwas angeboten wird, wovon er nur geträumt hat, nein wovon er nie zu träumen gewagt hat. Ich bin überzeugt, dass er mir keine Bitte abgeschlagen hätte.«
    Ich spürte einen merkwürdigen Druck unter dem Brustbein. »Hat Ihr Mann bekommen, was er wollte?«
    »Fragen Sie aus beruflichen Gründen, Dr. Younger?«
    »Natürlich.«
    »Natürlich. Die Antwort ist wohl nein. Zumindest bis jetzt noch nicht.« Sie stellte Noras Fotografie wieder an ihren Platz auf dem Kaminsims zurück, neben ein Bild der Eltern des Mädchens. »Auf alle Fälle weiß Nora, dass ich in meiner Ehe … nicht glücklich bin. Und ich glaube, dass sie mich retten will.«
    »Wie das?«
    »Nora hat viel Fantasie. Und Sie dürfen eines nicht vergessen: Auch wenn Nora für Sie als Mann aussieht wie eine Frau, ein hinreißendes Geschöpf, das es zu besitzen gilt, ist sie in Wirklichkeit noch ein Kind. Ein Kind, das von seinen Eltern nie richtig verstanden wurde. Ein Einzelkind. Nora hat fast ihr ganzes Leben in einer völlig eigenen Welt verbracht.«
    »Sie haben gesagt, sie will Sie retten. Wie?«
    »Vielleicht glaubt sie, sie kann George zu Fall bringen, wenn sie der Polizei erzählt, dass er sie überfallen hat. Vielleicht glaubt sie sogar wirklich daran. Möglicherweise haben wir der Ärmsten so sehr zugesetzt, dass sie unter Wahnvorstellungen leidet.«
    »Oder vielleicht hat Ihr Mann sie wirklich überfallen.«
    »Ich möchte nicht behaupten, dass er nicht dazu fähig ist. Es ist ihm durchaus zuzutrauen. Mein Mann ist zu fast allem fähig. Aber in diesem Fall hat er nichts getan. George ist gestern kurz nach meiner Rückkehr vom Dinner nach Hause gekommen. Es war halb zwölf. Nora sagt, sie ist erst um Viertel vor zwölf auf ihr Zimmer gegangen.«
    »Ihr Mann könnte das Haus in der Nacht verlassen haben, Mrs. Banwell.«
    »Ja, ich weiß. In einer anderen Nacht hätte er es vielleicht getan, aber gestern Nacht nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, mich seinem Willen zu unterwerfen, Sie verstehen. Die ganze Nacht.« Sie setzte ein zart ironisches, vollkommenes Lächeln auf und rieb sich gedankenlos das Handgelenk. Die langen Ärmel reichten ihr bis zum Handrücken, aber sie bemerkte meinen Blick. Sie atmete tief durch. »Ach was, Sie können es ruhig sehen.«
    Sie trat ganz nah an mich heran, so nah, dass ich die Diamanten in ihren Ohrläppchen und den Duft ihres Haars wahrnahm. Als sie die Ärmel nach oben schob, kamen frische Abschürfungen an beiden Handgelenken zum Vorschein. Ich hatte schon davon gehört, dass es Männer gibt, die Frauen zu ihrem Vergnügen fesseln. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass auch Mrs. Banwells wunde Stellen auf solche Weise entstanden waren, aber es war natürlich der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss.
    Sie lachte leise. Es klang humorvoll, nicht bitter. »Ich bin eine gefallene Frau, Dr. Younger, und zugleich eine Jungfrau. Haben Sie so was schon mal gehört?«
    »Mrs. Banwell, ich bin kein Anwalt, aber ich denke, Sie haben mehr als ausreichende Gründe für eine Scheidung. Möglicherweise sind Sie dem Gesetz nach nicht einmal verheiratet, da die Ehe ja nie vollzogen wurde.«
    »Scheidung? Da kennen Sie George schlecht. Eher würde er mich umbringen, als mich gehen zu lassen.« Wieder lächelte sie. Unwillkürlich malte ich mir aus, wie es sich anfühlen mochte, sie zu küssen. »Und wer würde mich denn haben wollen, auch wenn ich aus dieser Ehe befreit wäre? Welcher Mann würde mich noch berühren, nach allem, was ich getan habe?«
    »Jeder.«
    »Sie sind liebenswürdig, aber Sie lügen.« Sie blickte zu mir auf. »Und es ist eine grausame Lüge. Sie könnten mich jetzt berühren. Aber das würden Sie nie tun.«
    Ich schaute in ihr makelloses, unendlich reizendes Gesicht. »Nein, Mrs. Banwell, ich würde es nie tun. Aber nicht aus dem Grund, den Sie genannt haben.«
    In diesem Augenblick erschien Nora Acton in der Tür.

     
    Nach dem Gespräch mit dem Coroner fehlte Detective Littlemores Schritt der charakteristische Schwung. Die Nachricht, dass Harry Thaw in einer Anstalt saß, war ein Schlag für ihn. Seit er das Protokoll des Thaw-Prozesses gelesen hatte, hatte Littlemore mit der Vorstellung gespielt,

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